Waffenbesitz im Landkreis:Entwaffnend

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Wer eine Waffe besitzen möchte, braucht eine offizielle Waffenbesitzkarte. Um sie zu erhalten muss er sich von den Behörden durchleuchten lassen. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Sich selbst einzugestehen, die Kontrolle über die eigene Pistole oder das Gewehr nicht mehr zu besitzen, ist für Sport- oder Wildschützen schwer. Der Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer, 76, fordert Gesundheitskontrollen

Von Sabine Oberpriller, Landkreis

Peter Paul Gantzer ist 76 Jahre alt. Andere sind in diesem Alter schon seit zehn Jahren Rentner. Der Sozialdemokrat ist indes das älteste Mitglied im Landtag. Und so weiß der Haarer: Langsam muss er sich mit Dingen beschäftigen, die sich in Kategorien einordnen lassen wie "Aufhören" und "Weggeben". Er muss sich Fragen beantworten wie: "Kann ich noch Auto fahren?" Und : "Kann ich noch schießen?"

Gantzer ist Oberst der Reserve, er hat den "großen" Waffenschein, den man nur in Sonderfällen bekommt, etwa weil man sich in der Arbeit schützen muss. Heute greift er nur noch in seinem Schützenverein zur Waffe, in der Reservistenkameradschaft Ottobrunn. Wie lange er das noch macht, weiß er nicht. "Ich merke an mir selbst, wie ich zum Beispiel langsamer werde", sagt er. "Es gibt natürlich Dinge, die ich erst mal wegmogle."

Im Landkreis München besitzen mehr als 16 000 Menschen Waffen. Stellt man die vergleichsweise seltenen bewaffneten Übergriffe in Relation zu dieser Zahl, scheint das strenge, deutsche Waffengesetz gut zu funktionieren. Nicht so einfach ist es allerdings, Waffenbesitzer und ihr direktes Umfeld vor sich selbst zu schützen. Bei Krankheiten oder wenn die Fitness nachlässt, haben die Behörden kaum adäquate Kontrollmöglichkeiten.

Das Problem ist die Selbsterkenntnis, rechtzeitig zu begreifen, wann die Unsicherheit zu groß wird, wann der Umgang mit der Waffe eigentlich zu anstrengend oder schlicht nicht mehr möglich ist. "Die hat nicht jeder Mensch", sagt Gantzer.

Und das kann gefährlich werden.

Bis zu diesem Punkt sind Sportschützen die am besten durchleuchteten Bürger. Wer Zielen zu seinem Hobby machen will, muss ein lupenreines Führungszeugnis vorweisen, einen Test in Waffenkunde machen, nachweisen, dass er regelmäßig schießt - das heißt mindestens zwei Mal pro Jahr - und sich in einem Verein engagiert. Dort haben die Vorsitzenden ein wachsames Auge auf ihre Mitglieder. Schießen ist kein Einzelgängersport. "Wer sich nicht integriert, wird hinterfragt", sagt Wolfgang Kink, erster Schützenmeister des Polizei-Sportschützenvereins, in dem auch Zivilisten aus dem ganzen Landkreis eingeschrieben sind. Regen Zulauf erfährt der Verein besonders von älteren Anwärtern, seit er das Auflagenschießen eingeführt hat. Von 200 Mitgliedern schießen 60 mit scharfen Waffen.

Behörden können auch in der Fitnessfrage auf die Eigenkontrolle der Schützenvereine zählen. "Aus eigenem Interesse bewegen wir Mitglieder, die offensichtlich nicht mehr sicher genug mit ihrer Waffe sind, dazu, sie abzugeben", sagt Wolfgang Kink. "Wenn zum Beispiel jemand aus Schwäche eine Waffe fallen lässt und sich ein Schuss löst, ist das auch für uns lebensgefährlich." In der Regel erlaubt der Verein Mitgliedern, die ihre Waffenbesitzerlaubnis abgeben, zumindest die nicht ganz so gefährlichen, vereinseigenen Luftdruckgewehre zu benutzen.

Wolfgang Kink hat selbst schon jemanden überredet, die Waffe abzugeben. Der hat es eingesehen. Darauf ansprechen darf man ihn nicht. Die Wunde ist tief. Zugeben, dass man keine Kontrolle mehr hat, ist ein großes Eingeständnis. In Gantzers Verein, in dem es keine Luftdruckwaffen gibt, ist es umso größer. In traditionsreichen Jagdverbänden, in denen das Hobby über Jahrzehnte hinweg Lebensgefühl und Teil der Selbstidentifikation geworden ist, ist für Jäger die Schmach schwer zu ertragen. Walter Heilmeier arbeitet in der Abteilung Waffen- und Sprengstoffrecht des Landratsamtes. In seiner zehnjährigen Laufbahn bei der Behörde haben gerade einmal fünf Jäger freiwillig aufgegeben. In den Jagdverbänden herrscht kaum gegenseitige Kontrolle. Beim Jagen ist man - abseits der Verbandstreffen und anders als in Schützenvereinen - oft allein.

Besitzt ein Sportschütze oder Jäger einmal seine Waffe samt Waffenbesitzerlaubnis, sind die Möglichkeiten für die Behörden, den Paragraf 6 des Waffengesetzes mit dem Titel "persönliche Eignung" zu überprüfen, minimal. Der Jagdschein ist maximal drei Jahre gültig, bevor er erneut beantragt werden muss, eine Waffenbesitzerlaubnis gilt unbegrenzt, die persönliche Eignung muss aber mindestens alle drei Jahre überprüft werden.

Der Gruppenleiter der Abteilung Waffen- und Sprengstoffrecht im Landkreis, Reinhard Templer, drückt sich vorsichtig aus. Aber das Magengrummeln ist ihm anzumerken, wenn er einräumt, dass während dieser drei Jahre eine Kontrolle des Amtes schwer möglich sei. Nur bei einem begründeten Verdacht, kann die Behörde ein Gutachten anfordern. Ansonsten gilt: Im Zweifel für den Waffenbesitzer.

Zumindest im Landkreis müssen Waffenbesitzer persönlich erscheinen, um die Erlaubnis zu verlängern. Allgemeine Vorschrift ist das nicht. Grundsätzlich können Kreise auch nur aufgrund der Akten die Eignung überprüfen. Auch der relativ kurze, persönliche Kontakt im Landratsamt reiche aber streng genommen nicht aus, sagt Templer. "Wenn Besucher kommen, gehen sie von der Tür zum Stuhl, vom Stuhl zur Theke. Das sind kurze, ritualisierte Wege, da lässt sich viel verstecken." Um das zu unterstreichen, erzählt Heilmeier folgende Geschichte: Ein Jäger sei mit über 90 alle Stockwerke bis zum Büro zu Fuß gelaufen, ohne außer Atem zu sein. Nie wären Heilmeier oder seine Kollegen auf die Idee gekommen, dass der Mann nicht mehr fit genug für die Jagd sein könnte. Eines Tages habe der Senior zugegeben, dass er schon seit Jahren nicht mehr schieße und die Erlaubnis nur noch beantrage, weil es eben zur Jagd dazugehört, eine Waffe zu haben. "Stelle man sich vor, wir irren uns mit unserem Verdacht, jemand sei nicht gesund genug. Ohne direkte Anhaltspunkte, ohne Beweise ist das eine Unterstellung", sagt Templer. "Da kommen wir in Teufels Küche." Stichproben zu Hause bei den Waffenbesitzern sind mit ähnlichen Schwierigkeiten behaftet: Eigentlich müsste man auch auf Alkoholgeruch reagieren, auf Händezittern. "Ansonsten sind wir auf Familienangehörige angewiesen, die uns etwa bei Demenzerkrankungen darauf hinweisen", sagt Templer. Meistens seien es die Ehefrauen, die aktiv würden, aber inständig darum bäten, unerkannt zu bleiben.

Bei Verhaltensauffälligkeiten kann Templers Team schnell reagieren. Ein Beispiel dafür, dass das seine Berechtigung hat und gut funktioniert, ließ sich jüngst am Münchner Verwaltungsgericht beobachten. Da verklagte ein junger Mann - vergeblich - den Freistaat auf Herausgabe seiner Waffenbesitzerlaubnis. Templers Behörde hatte sie eingezogen, nachdem der Mann auf dem Unterschleißheimer Volksfest auf einen Bekannten losgegangen war und ihm und der Polizei gegenüber Morddrohungen ausgesprochen hatte. Einzige Möglichkeit, seine Waffentauglichkeit zu beweisen, ist ein psychologisches Gutachten. Das wollte der Mann nicht bezahlen, es kostet 500 Euro. Genauso wiederholte er aber vor der Richterin seine Überzeugung, die Welt sei ohne seinen Bekannten besser dran. Nichts zu machen. Die Waffenbesitzerlaubnis ist weg.

Pro Jahr entzieht Templers Behörde 80 Waffenbesitzerlaubnisse wegen mangelnder Eignung, die meisten, weil die Inhaber alkoholisiert am Steuer saßen. Wenn überhaupt, werde nur eine pro Jahr wegen gesundheitlicher Probleme entzogen. "Aber heißt das, alle sind gesund genug?", Templers Frage ist eine rhetorische.

In seiner politischen Funktion ist Peter Paul Gantzer Verfechter der Idee, ab einem gewissen Alter regelmäßige Gesundheitskontrollen verpflichtend einzuführen. Für Autofahrer und für Schützen. Aber wird er selbt erkennen, wann sein Moment gekommen ist? "Ich verlasse mich da ganz auf meinen Schützenmeister", sagt Gantzer. "Der wird es mir schon sagen."

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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