Kreis und quer:Kultur des Zusammenrückens

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Feiern und Helfen schließt sich nicht aus, ob auf der Wiesn oder bei den Keferloher Festtagen

Von Konstantin Kaip

Hunderte Flüchtlinge aus Krisengebieten, die in maroden Tennishallen auf eine ungewisse Zukunft warten, werden an diesem Wochenende auf Hunderte Einheimische mit Strohhüten treffen, die bei Blasmusik, Bier und Weißwürsten das älteste Volksfest der Region feiern: im Grasbrunner Ortsteil Keferloh, wo Notunterkunft und Bierzelt in unmittelbarer Nachbarschaft stehen.

Darf man gewohnt sorglos feiern angesichts der Not so vieler Menschen, die derzeit zu uns kommen? Orlando Galárraga aus Grünwald beschäftigt diese Frage im Hinblick auf das Oktoberfest, das bald beginnt. Er denkt dabei an die Unsummen, die die Besucher bereitwillig auf der Theresienwiese lassen werden. Denn auf dem größten Volksfest der Welt regiert eben auch der Konsum, drei Mass und ein halbes Hendl, schwupps sind 50 Euro weg. Und am Hauptbahnhof drängen sich mittellose Flüchtlinge aus den Zügen. "Viele haben nichts zum Essen und zum Trinken, keine Wohnung oder sogar keinen Schlafplatz, und wir feiern das Bier wie Götter?", fragt Galárraga. Der Koch mit "Nationalität Mensch", wie er sagt, hat deshalb den Münchner Bürgermeistern einen Vorschlag gemacht: Man solle doch von jedem Wiesnbesucher eine "einmalige Eintrittsspende" von zehn Euro verlangen, quasi eine Mass also, die den Flüchtlingen zugute kommen soll. Wer feiert, findet er, kann auch helfen.

Spenden können das aber nur zu einem gewissen Grad. Die wachsende Zahl der Asylbewerber führt zwar zu erheblichen Mehrausgaben. Doch gerade erst haben Bund und Landeshauptstadt bekräftigt, dass die angesichts der guten Wirtschaftslage verkraftbar seien. Dringender als Geld bräuchten die Flüchtlinge geeignete Unterkünfte, und da wären wohl eher die Wiesnwirte gefragt. Ihre Zelte sind schließlich weitaus geräumiger als die Turn-, Tennis- und Traglufthallen, in denen viele Flüchtlinge derzeit leben müssen. Und sie haben Wasseranschluss, Heizstrahler und Großküchen.

Was die Geflohenen aber mindestens ebenso dringend brauchen, ist in den vergangenen Tagen wieder einmal deutlich geworden: Andere Menschen, die sie willkommen heißen. Dass es die auch im Landkreis gibt, zeigen nicht nur die Ehrenamtlichen von Feuerwehr, THW und Rotem Kreuz, die über Nacht die Hallen in Keferloh hergerichtet haben. Sondern täglich auch Tausende Bürger, die sich in Helferkreisen oder einfach als Nachbarn um Flüchtlinge kümmern, mit Deutschunterricht oder beim Sport.

Die Bilder, die in dieser Woche aus München um die Welt gingen, von Hunderten Freiwilligen, die die Flüchtlinge am Hauptbahnhof herzlich empfangen haben, decken sich mit den Erlebnissen vieler Wiesngäste. Denn auf dem größten Volksfest der Welt wird eben auch eine Willkommenskultur gepflegt, die mit ihrer Selbstverständlichkeit auf Besucher aus aller Welt stets großen Eindruck macht: An den Biertischen rückt man zusammen, auch mit Wildfremden, schnell ist man beim Prost und beim Du. Diese Kultur des Zusammenrückens sollte man unbedingt gewohnt feiern, gemeinsam, auf der Theresienwiese und in Keferloh.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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