Kreis und quer:Des Laubbläsers Gleichmut

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Der Herbst, auch der des Lebens, kann durchaus bunt sein

Von Konstantin Kaip

Es ist Spätherbst. Das wird unmissverständlich klar, wenn eines Morgens plötzlich die gesamte Straße mit Laub bedeckt ist, als welkten in den Himmeln ferne Gärten. In der Regel aber haben Mitarbeiter des gemeindlichen Bauhofs die Blätter lediglich in aller Frühe von den Gehsteigen gefegt - mit Laubbläsern und verneinender Gebärde. Das welke Herbstlaub ist schließlich tückisch und birgt, gerade für die älteren Fußgänger, Gefahren, die jede verantwortungsbewusste Verwaltung peinlichst vermeiden will, schon allein aus versicherungstechnischen Gründen. Dass die Autos und der Herbstwind das Laub dann meist umgehend zurück auf die Gehwege tragen, gehört zum traurigen Schicksal der Laubbläser-Trupps, dieser Sisyphusse unserer Zeit, die mit trübem Gleichmut in den Gesichtern die Bürgersteige abschreiten und dabei die Vergeblichkeit ihrer Mühen wie eine unsichtbare Last tapfer auf ihren Schultern tragen.

Seltsam, im Nebel zu wandern, wenn das Rascheln jedes Schrittes auf dem Weg zum Auto in diesen Novembertagen an die Vergänglichkeit allen Seins erinnert. Und an die Vergeblichkeit, dagegen anzukämpfen. Als ob die kahlen Zweige, die frühe Dunkelheit und das geballte memento mori von Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag nicht genug wären, lenkt auch noch die Arbeit der Laubbläser die Gedanken auf den Spätherbst des Lebens, der sich in poetischen Vergleichen aufdrängt. Ein Gefühl, das der italienische Dichter Giuseppe Ungaretti in einem genial kurzen Poem mit dem Titel "Soldaten" auf den Punkt gebracht hat: "Es geht uns wie/ im Herbst/ an den Bäumen/ den Blättern."

Die Melancholie der Vergänglichkeit gehört zur Jahreszeit, man darf sich ihr ruhig ein wenig hingeben. Verzweifeln muss man an ihr aber nicht. Schließlich hat die erste Novemberwoche vielerorts gezeigt, wie schön der Spätherbst sein kann, etwa am sonnigen Isarufer in Baierbrunn, wo die Bäume in prächtigen Farben schillerten. Auch im übertragenen Sinn kann der Herbst des Lebens bunt sein. Darauf lassen zumindest die Nachrichten dieser Tage hoffen: In Haar können sich Senioren bald im Elektrotaxi der Gemeinde herumkutschieren lassen, und der Fachtag Demenz im Landratsamt hat zwar an den dichten Nebel des Vergessens erinnert, der das Alter bedroht. Allerdings haben die Experten dort auch klar gemacht, dass Demenz verbindet. In Neubiberg gibt es für Demente nun auch eine Betreuungsgruppe mit dem passenden Namen Herbstwind. Der zielt allerdings weniger auf die verwehten Erinnerungen ab als auf die aktivierende Beschäftigung der Mitglieder. Dass man auch im hohen Alter das Leben aktiv mitgestalten kann, beweist der Neubiberger Seniorenzentrumsbeirat, der nun im November neu gewählt wird. Am elften übrigens, einem Datum, das zeigt, dass dieser Monat mehr zu bieten hat als nur Trübsal. Schließlich beginnt da offiziell der Fasching. Und der fegt ja bekanntlich alle Sorgen weg wie die Laubbläser die Blätter von den Gehwegen.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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