Kreis und quer:Das Leben ist ein langer Stau

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In einer Woche, in der nichts mehr geht, hilft nur noch ein Blick ins Tierreich: Das Krabbeln auf einer Ameisenstraße wäre eine Lösung

Von Iris Hilberth

Vor 90 Jahren war der australische Physiker Thomas Parnell auf die Idee gekommen, die Fließeigenschaft und Viskosität von ausgehärtetem Pech zu untersuchen. Ein Experiment, das dem Wissenschaftler vor allem eines abverlangte: Geduld. Der erste Tropfen fiel nach acht Jahren, der zweite nach weiteren neun. Bis im Jahr 2014 soll das Zeug neun Mal getropft haben. Es handelt sich also um eine wirklich zähe Angelegenheit. Und Parnell selbst konnte sich trotz aller Warterei nur über zwei kleine Erfolge mit dem tropfenden Pech freuen, bevor er 1948 starb.

Offenbar aber war er ein Mensch, der noch warten konnte. Der es ausgehalten hat, wenn etwas lange dauert. Zwar beteuern Psychologen immer wieder, man könne das lernen, und das sei auch wichtig. Tatsache aber ist und bleibt: Warten nervt. Sieben Minuten lang wartet der Mensch durchschnittlich an der Supermarktkasse - aufs Leben hochgerechnet will man die Summe der Stunden gar nicht wissen. Die Ladezeiten bei Computern kosten den Durchschnittsdeutschen laut Webseite "Kalender-Uhrzeit.de" 75 Stunden im Jahr, das Warten beim Arzt angeblich sechs Stunden und 48 Minuten, wobei hier die Augenärzte mit 37 Minuten pro Termin die Hitliste anführen.

Seit dieser Woche gibt es neueste Zahlen vom US-amerikanischen Verkehrsdatenanbieter Inrix über den Zeitverlust durch Staus. Und der bestätigt, was viele schon geahnt hatten: München ist auf diesem Gebiet Spitzenreiter. 49 Stunden haben Autofahrer 2016 in der Landeshauptstadt durchschnittlich im Stau verbracht. Nun haben die amerikanischen Datensammler aber auch behauptet, auf den Ein- und Ausfallstraße fließe der Verkehr ganz gut. Ja, waren die denn noch nie auf der Giesinger Autobahn, auf der Wasserburger Landstraße oder gar auf dem Föhringer Ring unterwegs? Offenbar nicht, sonst wüssten sie: Bevor man sich in München in die 49 Stunden Stau stellen kann, muss man erst einmal dorthin kommen. Und wenn es so zäh läuft wie in dieser Arbeitswoche, die mit einem umgekippten Laster am Montag begann und mit einem umgekippten Laster am Freitag endete, eine Woche, in der erst Olivenöl und dann Käse die A 99 flutete, ist die Stadtgrenze schnell in weite Ferne gerückt und das Erreichen des 49-Stunden-Staus eine echte Geduldsprobe.

Stauforscher haben bekanntlich allerlei schlaue Erklärungen dafür, warum der Verkehr ins Stocken gerät. Zu viele Autos - klar. Dazu kommen Spurwechsler, Bremser, Raser und Schneeglätte. Ein Blick ins Tierreich könnte helfen: Würde jeder einzelne Fahrzeuglenker statt nur an das eigene Fortkommen zu denken, das Wohl aller Autofahrer im Blick haben, könnte es auf den Routen Richtung München funktionieren wie auf einer Ameisenstraße. Die Krabbler ersparen sich jede Warterei ganz einfach: Sie überholen nicht und im Winter bleiben sie daheim.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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