Serie: Menschen am Fluss:Das Murmeln der Steine

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Nach diesem Jahr wird Martin Jonas mit seinem Isarsprudel zunächst eine kleine Pause einlegen. 2017 soll es dann in neuer Form weitergehen. (Foto: Stephan Rumpf)

Martin Jonas hat das Performance-Festival "Isarsprudel" erfunden. In einer Stadt ohne Fluss zu leben, kann sich der Volkskundler nicht vorstellen

Von Jutta Czeguhn, Haidhausen

Martin Jonas kommt mit dem Radl über die Corneliusbrücke gefahren. Auf dem Gepäckträger klemmt ein zusammengerolltes, hellblaues Badetuch. Seine Lieblingsstelle an der Isar lässt sich vom Brückenbalkon aus gut betrachten. Man teilt den Blick mit Ludwig II., dessen Büste selbstvergessen auf einer Stele ruht. Stünde dort auch ein Panoramafernrohr, könnte die Linse den Bereich heranzoomen, wo "die Isar so schön wegarmt", wie Martin Jonas es beschreibt. Wo es breite Kiesbänke und verbuschte kleine Inseln gibt. Irgendwie theatralisch ist dieser Abschnitt zwischen Cornelius- und Reichenbachbrücke. Kein Wunder, dass der 37-Jährige die Sphäre für sein "Isarsprudel"-Festival ausgewählt hat. Das Leben sprudelt hier nur so, nicht nur das Wasser.

Jonas verlässt die Corneliusbrücke. Es geht hinunter zum östlichen Isarufer, er steigt quasi hinein in das Panoramabild, das sich eben eröffnet hat: Eine Kindergartengruppe macht sich gerade strandbadfertig. Ledernackengebräunte Frührentner haben sich riviera-mäßig bereits die besten Plätze auf dem Kiesbett gesichert. Eine Büro-Gemeinschaft ist mit Pizza-Kartons eingetroffen. Ein Typ genießt die Aufmerksamkeit; gleich lässt er sein Spielzeug, eine Drohne mit Kamera, in die Luft steigen. Im Gebüsch auf der kleinen Insel knackt ein Ast. "Man weiß nicht, was dahinter ist. Sitzt da der Biber oder sind da zwei, die sich gerade intensiv lieb haben?", sagt Martin Jonas.

Für den studierten Volkskundler und Kulturwissenschaftler ist dieser Isar-Abschnitt "pseudowild, undurchsichtig". Er kann inbrünstig schwärmen von dem Ort, der sich stetig verändert durch die Menschen und ihre unterschiedlichen Privatkulturen. "Es gibt Leute, die schlafen oder kochen hier, weil sie nicht wissen, wo sie sonst hin sollen, andere entspannen oder halten das Ufer sauber", erzählt er. Der Isar sei an dieser Stelle exemplarisch dafür, "wie Räume in der Stadt München ausgehandelt werden".

Aushandeln - ein seltsam nüchternes Wort, wenn man den Mörderton im Ohr hat, der mitunter zwischen Isarufer-Nutzern, Anwohnern und Stadtverantwortlichen angeschlagen wird. Das Isarsprudel-Festival, das Martin Jonas 2012 mit eigenem Geld ("Ich war größenwahnsinnig!") zum Leben erweckt hat, will sich in diesen Handel einmischen. Performance-Künstler aus München, Berlin, Hamburg und Zürich werden heuer am 21. und 22. August "Kunst im Fluss" präsentieren. Sie werden Dynamiken aufgreifen, die sie am Isarufer zwischen der Weideninsel und dem Deutschen Museum finden, und etwas daraus machen, kündigt Martin Jonas an. Für ihn ist Kunst nur relevant, wenn sie sich in soziale, politische oder ökonomische Prozesse einmischt.

Er selbst pendelt zwischen aktiver Kulturarbeit und volkskundlicher Wissenschaft. Ein paar Jahre lang hat er für das Theater im Fraunhofer gearbeitet, derzeit begleitet er das Programm im "Herzkasperlzelt" auf der Oid'n Wiesn. Parallel schreibt er an seiner Doktorarbeit, in der es auch um die anarchische Kasperl-Figur geht, allerdings - höchst zeitgemäß - in digitalen Räumen. Die Isar ist für Martin Jonas ein realer, sinnlicher Ort, an dem er seine Batterien aufladen kann. Dann taucht er, fühlt sich leichter. "Man hört die Steine der Isar murmeln, und alles ist gleich nicht mehr so schlimm", sagt er.

In einer Stadt zu leben, die keinen Fluss oder See hat, kann sich der gebürtige Münchner nicht vorstellen. Da müsse die Stadt schon sehr schön sein. "Wasser macht etwas mit einer Stadt und mit den Menschen", glaubt er. Aufgewachsen ist Martin Jonas in Pasing, wo es immerhin die Würm gibt, die damals dreckiger war als heute. Das Badeverbot? Jonas grinst. "Wir sind oft mit Blutegeln nach Hause gekommen." Während des Studiums hat er ein paar Jahre in Wien gelebt. An der schönen, blauen . . .? "Die Donau ist sehr verbaut, das kann man mit der Isar nicht vergleichen, die ist viel sauberer, frischer", sagt er.

Jonas freut sich auf den Isarsprudel, den vorerst letzten, denn er will eine Pause einlegen. 2017 soll es dann in neuer Form weitergehen. Auf der Corneliusbrücke, beim Kopf von König Ludwig, wird am 21. und 22. August, der Infopoint für die Festival-Besucher eingerichtet sein. Von dort sollen sie sich erst einmal den Fluss anschauen und sich dann treiben lassen. Für Martin Jonas ist es jedes Mal wieder ein Wunder, wie sich die Isar und das Leben an ihrem Ufer selbst inszenieren: "Die meisten Leute sehen viel mehr, als wir überhaupt anbieten."

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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