Flucht in den Landkreis:Asyl in Büros und Turnhallen

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In der Siemensstraße gibt es bereits ein Wohnheim für Flüchtlinge. Jetzt soll in der Nachbarschaft eine Notunterkunft für 200 Menschen entstehen. (Foto: Florian Peljak)

Um die gestiegene Zahl von Flüchtlingen unterzubringen, richtet der Landkreis in Haar, Unterschleißheim und Planegg neue Notunterkünfte ein. Voraussichtlich im Juli sollen die ersten Traglufthallen aufgestellt werden

Von Bernhard Lohr, Rainer Rutz und Alexandra Vettori, Landkreis

Der Landkreis München muss fortan mindestens 90 Asylbewerber pro Woche aufnehmen. Die Quote hat sich innerhalb weniger Wochen fast verdreifacht. Deshalb richtet das Landratsamt weitere Notunterkünfte ein. In der Turnhalle des Gesundheitszentrums der Haarer Volkshochschule sollen noch im Lauf dieser Woche bis zu 60 Flüchtlinge Platz finden, am Planegger Gymnasium wird eine Dreifachturnhalle belegt. In Unterschleißheim werden 200 Personen in einem Bürogebäude untergebracht. In Haar wurde am Dienstagnachmittag die Halle an der Friedrich-Ebert-Straße bereits für die Aufnahme der Menschen vorbereitet.

Die Regierung hat die Quote der Personen erneut erhöht, für die der Landkreis Quartiere suchen muss. Das Landratsamt ist in der Pflicht. Entsprechend dramatische Worte wählt Landrat Christoph Göbel (CSU): "Die Zeit drängt, täglich kommen mehr Menschen zu uns, die Hilfe und Zuflucht suchen." Die Kapazitäten in Einzel- wie in Sammelunterkünften seien längst erschöpft. Solange keine Unterkünfte oder Grundstücke zur Bebauung mit größeren Gebäuden angeboten würden, könne man seine Pflicht nur erfüllen, indem Notunterkünfte eingerichtet würden. Diese sollen, wie in Haar und in Planegg, nur vorübergehend in Anspruch genommen werden, betont die Behörde. Die VHS-Halle an der Friedrich-Ebert-Straße in Haar soll, so ist es gedacht, bis zum Ende der Sommerferien Notquartier sein. Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) bat die Haarer am Dienstag "herzlich, die Flüchtlinge bei uns willkommen zu heißen und ihnen beim Zurechtfinden in der fremden Umgebung zur Seite zu stehen".

Die Lage ist überall im Landkreis ernst. In Unterschleißheim logieren bis dato knapp 30 Asylbewerber in der Turnhalle der Rupert-Egenberger-Schule. Wie lange, das weiß niemand. Nun mietet die Kreisbehörde noch einen Gewerbebau in der Siemensstraße an. Ursprünglich sollte dort nach den Plänen des Besitzers sogar eine Flüchtlings-Sammelunterkunft der Regierung entstehen, die hat sich allerdings gegen die Immobilie entschieden. Glück für das Landratsamt, das sofort zugegriffen hat. 200 Asylbewerber will man dort unterbringen, nach dem entsprechenden Umbau möglichst noch in diesem Jahr.

Schon länger steht der Bürobau im Unterschleißheimer Gewerbegebiet leer, er entspricht offenbar nicht mehr den Anforderungen moderner Bürokultur. Für die Mitarbeiter in der Flüchtlingsverwaltung des Landratsamtes aber dürfte er ein Traumhaus sein. Denn der Bundestag hat im Vorjahr das deutsche Baugesetz geändert, jetzt können Flüchtlinge zumindest provisorisch auch in Gewerbegebieten untergebracht werden. In den ersten Plänen der Bauvoranfrage vom Dezember vergangenen Jahres war noch von einer Flüchtlingsunterkunft für 290 Menschen die Rede. Der Unterschleißheimer Stadtrat stand dem Ansinnen damals durchaus aufgeschlossen gegenüber, plädierte aber für eine Begrenzung auf 150 Personen.

Dem Vernehmen nach konnten sich Regierung und Immobilienbesitzer nicht auf einen Mietpreis einigen, vielleicht war das Bürogebäude aber auch zu klein, denn eigentlich sucht die Regierung von Oberbayern, die für die Erstaufnahme zuständig ist, eher Häuser mit einer Kapazität ab 200 Personen. Eine Sprecherin der Regierung teilte jedenfalls mit: "Die Anmietung wurde wegen eines für eine Gemeinschaftsunterkunft nicht geeigneten Angebots eines Teils des gesamten Gebäudes abgelehnt." Mit der neuen Unterkunft hätte Unterschleißheim sein Soll bei der Unterbringung von Flüchtlingen zumindest für dieses Jahr erfüllt. Was die Entlastung des Landkreises durch das neueste Projekt anbelangt, sieht Sprecherin Christine Spiegel die Sache realistisch: "Die 200 Plätze reichen ein bisschen über zwei Wochen, nach den aktuellen Zahlen."

In Haar leben mangels geeigneter Unterkünfte bisher lediglich um die 30 Flüchtlinge. Ihre Quote erreicht die 20 000 Einwohner zählende Kommune bei Weitem nicht. Nun kommen übergangsweise bis zu 60 Asylbewerber in dem zentral gelegenen VHS-Gebäude hinzu. Der Helferkreis in Haar ist eingebunden, die sozialen Einrichtungen wurden informiert. Ein Caterer versorgt die Menschen mit Essen und Trinken und die Sozialbetreuer des Landkreises stehen ihnen zur Seite. Laut Rathaus ist unklar, wann im Lauf der Woche die Flüchtlinge ankommen und woher sie kommen werden, ob es Männer, Frauen oder vor allem Familien sein werden. Rathaus-Sprecherin Ute Dechent sagte, die Anwohner würden spätestens am Mittwoch mit persönlichen Schreiben von Landrat Göbel und Bürgermeisterin Müller über die neue Lage informiert. Müller sagte am Dienstag zur Unterbringung der Flüchtlinge: "Selbstverständlich nehmen wir unsere Verantwortung wahr." Dank der Hilfsbereitschaft der Haarer Institutionen und Vereine sei es innerhalb weniger Tage weitgehend gelungen, für die VHS-Kurse Ausweichräume zu finden.

Mittelfristig will der Landkreis in Traglufthallen Platz für Flüchtlinge schaffen. Die ersten dieser schnell zu errichtenden Hallen werden voraussichtlich im Juli aufgestellt. Diese Hallen sollen eine Drehscheibenfunktion übernehmen. Ankommende Flüchtlinge sollen zunächst dort Obdach finden. Sobald neue Unterkünfte errichtet sind oder Plätze in bestehenden Häusern frei werden, sollen sie verlegt werden. Notunterkünfte in Turnhallen sollen so möglichst überflüssig werden. In Planegg stellt man sich derweil darauf ein, dass eine komplette Dreifachturnhalle am Feodor-Lynen-Gymnasium belegt wird. Rathaus-Geschäftsführer Stefan Schaudig sprach von "einer für uns völlig neuen Aufgabe". Man müsse nun zusammenstehen.

© SZ vom 10.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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