Landgericht:Richter ohne Rechtsgrundlage

Gericht arbeitet offenbar ohne gültigen Geschäftsverteilungsplan

Von Christian Rost

Fällte das Münchner Schwurgericht Urteile ohne rechtliche Grundlage? Müssen die Beschlüsse und Entscheidungen der für Kapitaldelikte zuständigen 1. Strafkammer am Landgericht München I auf den Prüfstand? Darauf zielt ein Antrag des Münchner Strafverteidigers Adam Ahmed ab. Der Jurist lehnte die Kammer am Donnerstag in einem Prozess um versuchten Totschlag wegen Befangenheit mit der Begründung ab, sie arbeite schon seit Jahren ohne einen gültigen Geschäftsverteilungsplan, der intern regelt, welcher Berufsrichter für welche Verfahren zuständig ist. Das Gericht unterbrach daraufhin die Verhandlung, ehe die Anklage gegen einen 29-Jährigen, der in einer Table-Dance-Bar drei Männer niedergestochen haben soll, verlesen werden konnte.

Folgt man der Argumentation Ahmeds, der schon in einigen spektakulären Verfahren aufgetreten ist und für Gerichte als unbequemer Verteidiger gilt, dann hat sich das Schwurgericht selbst Probleme bereitet, indem es einer Formalität nicht die notwendige Aufmerksamkeit widmete. Nach dem Gesetz muss bereits Anfang eines Jahres genau festgelegt sein, welcher Berufsrichter bei neu eingehenden Verfahren zuständig ist. Das wird oft so geregelt, dass der eine Richter Verfahren mit geraden Endziffern der Aktenzeichen übernimmt und der andere die ungeraden. Das Schwurgericht unter dem Vorsitz von Michael Höhne hat dies für die Jahre 2011 und 2013 auch in einem Geschäftsverteilungsplan bestimmt, nicht aber für die Jahre 2012 und 2014, behauptet Ahmed. Für dieses Jahr habe das Gericht den Plan erst am 16. Mai im Nachhinein erstellt, was laut dem Anwalt nicht rechtmäßig ist, weil im Nachhinein theoretisch Manipulationen vorgenommen werden könnten. Gäbe es die Festlegung eines Richters für bestimmte Fälle nicht, so könnte etwa ein in seinen Urteilen besonders milde oder auch ein als sehr scharf geltender Richter auf bestimmte Verfahren angesetzt werden.

Ahmed sagt, ohne Geschäftsverteilungsplan gebe es letztlich keine gesetzlich bestimmten Richter. Das hat seiner Ansicht nach die Konsequenz, dass das Gericht gar keine Verfahren hätte durchführen dürfen. Im Fall des Mannes, der wegen versuchten Totschlags angeklagt ist, fordert der Verteidiger deshalb dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Dass es dazu vorerst nicht kommt, stellt Gerichtssprecherin Andrea Titz klar. Bislang habe der Verteidiger ja nur einen Befangenheitsantrag gestellt, nur darüber sei zu befinden, so Titz. Sie räumt aber ein, dass das Schwurgericht tatsächlich nicht jedes Jahr einen Geschäftsverteilungsplan neu erstellt, sondern einen alten "fortgeführt" habe. Konsequenzen wollte Titz daraus nicht ableiten. Sollte der Verteidiger neue Anträge stellen, werde sich das Gericht auch damit befassen.

In Nürnberg hatte 2013 ein Vollstreckungsgericht ebenfalls ohne Geschäftsverteilungsplan gearbeitet. Als dies herauskam, musste ein Beschluss des Gerichts gekippt werden: Es hatte einem Straftäter einer Fußfessel verordnet, die ihm sofort abgenommen werden musste. Der Prozess um den versuchten Totschlag wird am 2. Oktober fortgesetzt.

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