Landgericht München I:Angeklagter schluckt Rasierklingen aus Protest

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  • Ein 40-Jähriger steht vor Gericht, weil er mehrere Supermärkte überfallen hat.
  • Der Mann ist seit Jahren drogenabhängig, er saß bereits 18 Jahre im Gefängnis.
  • Der Prozess musste unterbrochen werden, weil der Mann Rasierklingen verschluckt hatte; er wollte damit gegen die Verhandlung und seine Haftbedingungen protestieren.

Von Susi Wimmer

In Vorführhandschellen betritt Christian F. den Sitzungssaal. Ein Mann mit kahlrasiertem Schädel, weiten Jeans und wachen Augen. Der 40-Jährige nimmt auf der Anklagebank Platz. Er soll sich - wie schon oft - wegen Überfällen auf Supermärkte vor Gericht verantworten. Doch das Landgericht München I unter dem Vorsitz von Elisabeth Ehrl kommt nicht weit. "Ich habe zwei Rasierklingen geschluckt, aus Protest gegen die Verhandlung, gegen die Entführung und gegen die Nichtgabe von Substitutionsmitteln", verkündet F. Wollte der Angeklagte Panik mit der Aussage erzeugen, so hat er sich getäuscht. Das Gericht reagiert gelassen, trotzdem sind binnen weniger Minuten Ersthelfer zur Stelle, die den Münchner in eine Klinik bringen.

40 Jahre ist Christian F. alt, und fast die Hälfte seines Lebens, also 18 Jahre genau, hat er hinter Gittern verbracht. Er überfiel Supermärkte in Deutschland und der Schweiz. Sein Motiv: Entzugserscheinungen. Der Münchner ist seit Jahren heroinabhängig, zuletzt hatte er auch noch Badesalze konsumiert. Entzugstherapien hat er auch schon mehrmals begonnen, aber nie durchgehalten.

Getrieben von dem Zwang, sich Geld für Drogen zu beschaffen, steuerte der Münchner am 8. April 2016 den Tengelmann-Markt an der Erika-Mann-Straße in Neuhausen an. Unmaskiert und mit einem Messer bewaffnet bedrohte er drei Mitarbeiter, versuchte noch vergeblich, mit dem Messer weitere Kassen zu öffnen, und entkam mit 1980 Euro. Er flüchtete in Richtung S-Bahn Donnersbergerbrücke - und stieg dort tatsächlich in die Bahn. Die Überwachungskameras filmten ihn dabei.

Mit einer Schreckschusswaffe bedrohte er eine Kassiererin

Elf Tage später, am 19. April, tauchte er kurz vor Geschäftsschluss im Penny-Markt an der Rablstraße in Haidhausen-Au auf. Er legte einen Tetrapack Eistee aufs Kassenband und stellte sich in der Schlange an. Als er an der Reihe war, zielte er laut Anklage mit einer Schreckschusswaffe auf die hochschwangere Kassiererin. Die allerdings weigerte sich, das Kassenfach zu öffnen. Erst als der Räuber weiter drohte, gab sie den Kasseninhalt von 3511 Euro heraus. Mittlerweile hatte die Polizei mithilfe der Zeugen aus dem ersten Überfall Fotos des mutmaßlichen Täters veröffentlicht, die aus den S-Bahn-Kameras stammten. Drei Tage später wurde F. festgenommen.

Das Leben des Münchners war von Anfang an schwierig. Die Mutter war bei seiner Geburt 16 Jahre alt, der Vater Alkoholiker. Mit drei Jahren kam Christian F. in ein Heim, dann auf eine Klosterschule, schließlich in ein tagesbetreutes Wohnen. Mit 13 Jahren fing er an zu kiffen und zu trinken, mit 15 Jahren saß er erstmals im Gefängnis. Dort schaffte er eine Schulausbildung. Wieder in Freiheit, holte ihn das alte Muster wieder ein. Drogen und Überfälle. 2003 wurde er zu acht Jahren Haft und einer Unterbringung in einer Entzugsanstalt verurteilt. Aus letzterer floh er und setzte sich in die Schweiz ab. Doch seine Probleme kamen mit. Wieder Drogen und Überfälle. In der Schweiz wurde er erneut zu fünf Jahren Haft verurteilt. Anschließend sollte er in einer geschlossenen Entzugsanstalt untergebracht werden, aber die Schweiz schob ihn davor nach Deutschland ab. Dagegen klagte er vor dem Schweizer Bundesgericht und bekam recht.

Deshalb spricht F. nun von "Entführung". In der Schweiz wurde er im Gefängnis mit Substitutionsmitteln versorgt, hier in Deutschland sei das nicht der Fall. Er besorge sich im Gefängnis Drogen, erklärte er. Er wolle aber substituiert werden. "Wir werden die Schweizer Sache in unsere Verhandlung einführen", sagt Richterin Ehrl noch. Staatsanwalt Laurent Lafleur versichert, dass in bayerischen Gefängnissen sehr wohl substituiert werde, bei ihm aber offenbar die Voraussetzungen nicht vorlägen. Dies entscheide der Gefängnisarzt.

"Was Sie gemacht haben, ist nicht optimal", sagt Ehrl mit Blick auf die verschluckten Rasierklingen. Sie habe erst kürzlich einen ähnlichen Fall gehabt. Die Speiseröhre sei anpassungsfähig; wenn alles gut gehe und sich die Klingen noch im Magen befinden, könne man sie endoskopisch wieder herausholen. Dann verlässt Christian F. in Handschellen und in Begleitung von Sanitätern den Gerichtssaal.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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