Kunstpark Ost:Ende auf dem Gelände

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Karaoke statt Kartoffeln - vor 19 Jahren wurde aus einer Knödelfabrik am Ostbahnhof der Kunstpark Ost. Bis zu 33 Clubs gab es zu besten Zeiten auf Europas größtem Partyareal. Mittlerweile ist nur noch ein belächelter Kirmes-Kosmos übrig, der zum Jahresende schließt

Von Michael Bremmer und Philipp Crone

Im Mai 1996 betrat David Süß zum ersten Mal das Paradies. Der heutige Betreiber des Techno-Clubs Harry Klein lief eines Abends über das verlassene Pfanni-Gelände am Ostbahnhof. Leere Hallen, kleine Wege, dazu Rohre, Rost, Ruinen - Industrie-Charme. Man hat sich einfach einen Raum angesehen und überlegt, was für ein Nachtkonzept da reinpassen könnte. "Das waren paradiesische Zustände", sagt Süß, 49, heute. Karaoke statt Kartoffeln, Party statt Pfanni. 90 000 Quadratmeter zur freien Verfügung, und das in München. Der Grandseigneur des Münchner Nachtlebens, der Franke Wolfgang Nöth, hatte zuvor den alten Flughafen in Riem zur Partyzone gemacht, nun zog er in den Osten und der Clubbetreiber-Nachwuchs durfte sich unter seiner Obhut fast mitten in der Stadt ausprobieren.

Im September 1996 eröffnete das Ultraschall als einer der ersten Clubs, dort lief Techno. Dazu kamen dann Rock-Läden, Nöth selbst betrieb das Babylon, das heute Q heißt. Die Milchbar eröffnete in der sogenannten Schinkengasse, deren Namensvorbild am Ballermann liegt. Ein kleiner Weg mit Verlockungen zu beiden Seiten, nur spärlich neunröhrenbeleuchtet und so surreal wie es eine richtig gelungene Feiernacht. Gegenüber die Nachtkantine, daneben der große Konzertsaal, die heutige Tonhalle, flankiert von Pommesbuden und Dönerständen. Am Ende der Gasse links ging es zum Tabledance, rechts zu Rock und Techno, eine Ecke weiter die Bongo-Bar, ein Varieté. 33 verschiedene Läden gab es zwischenzeitlich. Und wer von der Milchbar im Sonnenaufgang über die Schinkengasse wankte, konnte sich wirklich ballermännlich fühlen - auch ein Grund, warum dort mal ein München-Tatort gedreht wurde. Dass München heute neben dem Oktoberfest, Fußball und Kultur auch für sein außergewöhnlich reichhaltiges Nachtleben in der Welt bekannt ist, liegt auch am Kunstpark Ost. Die Münchner freundeten sich mit dem großen Nachtspielplatz an. Das Feiern funktionierte, auch deshalb wurde die Sperrzeit bald gekippt.

Bald wurde über die Zukunft des Areals spekuliert, Betreiber zogen auf das benachbarte Optimol-Gelände oder in die Innenstadt. Zuletzt war deutlich zu spüren, dass die fähigsten Nachtmacher von unsicheren Mietverhältnissen abgeschreckt wurden, die Kultfabrik, wie das Gelände derzeit heißt, war mehr Kirmes-Kosmos als ambitionierte Nachtszene. Beliebt bei der Umland-Jugend, verspottet von den Münchnern. Silvester wird der letzte Party-Abend der Kultfabrik sein, hier entsteht nun das Werksviertel mit Büros, Clubs, Bars, Restaurants, Kunst- und Ausstellungshallen. Die Trauer über das Ende der Feiermeile wird sich in München also in Grenzen halten. Obwohl, einen großen Vorteil hatte die Kultfabrik noch: Sie absorbierte beinahe alle Junggesellenabschiede der Stadt. Das große Grauen betrunkenen Männer und Frauen im Einheitslook - es wird vom 1. Januar an die Innenstadt heimsuchen.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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