Kulturevent in ganz München:Musik an der Macht

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Lange Nacht der Musik (Foto: Stephan Rumpf)

Bei der Langen Nacht gibt es nicht nur in Bars und Kneipen Konzerte - selbst die Gema wird zur Bühne

Von Jakob Wetzel

Die lange Nacht beginnt etwas verhalten. "Kommt mal weiter nach vorne", singt Cris Cosmo immer wieder. Es ist Samstag, kurz nach 20 Uhr, Cris Cosmo spielt mit seiner Band im Sitz der Gema an der Rosenheimer Straße. Die Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte hat in ihrem Eingangsbereich eine Bühne aufgestellt, am Tresen wird Bier verkauft. Draußen scheint noch die Sonne, der Raum ist vollverglast, die Musiker haben sich in kurze Hosen und Hawaii-Hemden geworfen, und manch einer, dem es drinnen warm geworden ist, schaut lieber von draußen dem Schlagzeuger über die Schulter. Aber die Musiker legen sich ins Zeug. "Ihr seid gerade erst angekommen, oder?", ruft Cris Cosmo. "Aber wir sind gleich wieder raus!" Trompeter Marko Mebus legt ein beeindruckendes Solo hin, und nach 20 Minuten haben die Musiker die Gema im Griff. Die etwa 100 Gäste recken die Hände in die Luft, sie hüpfen, tanzen, der gläserne Konzertsaal ist in Bewegung geraten. Die Band wird noch eine Zugabe spielen, und die Lange Nacht der Musik ist ins Rollen gekommen, auch bei den Urheberrechtswächtern in München.

"Los Dos Voltos" begeistern ihr Publikum im Kooks bei der Langen Nacht der Musik. (Foto: Stephan Rumpf)

Am Samstag hat die Stadt zum 18. Mal die Lange Nacht der Musik gefeiert: 400 Mal Livemusik an etwa 100 Spielstätten haben die Veranstalter versprochen: in Bars und Kneipen, in Konzertsälen und Kirchen, in Konsulaten und Behörden. Die ersten Konzerte begannen am Nachmittag. Seit Jahren hat sich auch die Gema etabliert: Sie ist einer der Orte für jüngere Musik, für Pop, Reggae oder auch Funk. In diesem Jahr sei es etwas anders, sagt eine der Organisatorinnen: Diesmal hätten erstmals alle der bundesweit 1000 Mitarbeiter über die Bands abstimmen dürfen. 60 Musikgruppen standen zur Wahl, vier haben sie engagiert. Viele Mitarbeiter sind nun unter den Gästen, "aber auch viele von extern", sagt die Mitarbeiterin. Das freue sie, der Ruf der Gema habe ja im Streit über Musikvideos im Internet gelitten. Gebühren führe die Gema übrigens auch ab, "müssen wir ja". In dem Fall eben an sich selber.

Großer Andrang herrscht auch bei "Baldosa Floja" im Foyer des Gasteig (Foto: Stephan Rumpf)

Der Abend ist warm, zum nächsten Konzert ist es nicht weit. Im Unionsbräu an der Einsteinstraße spielt eine Big Band, im Dreigroschenkeller an der Lilienstraße eine Coverband, im Sahaja Yoga Zentrum ums Eck wird indische Musik vorgeführt. Über allem aber thront der Gasteig, angestrahlt mit dem Logo der Langen Nacht der Musik. 25 Bands spielen an verschiedenen Orten im städtischen Kulturzentrum. Im Foyer musiziert gerade ein Tango-Quintett, vor der Philharmonie singt ein Jazz-Chor. "Das ist so toll alles, ein Geschenk!", ruft eine vorübereilende Frau ihrem Begleiter zu, und ein älteres Paar erzählt, es werde den ganzen Abend im Gasteig verbringen. "Warum sollen wir so weit laufen?", es gebe hier so viel Abwechslung, zu essen, zu trinken und auch genügend Toiletten.

30 Lautsprecher spielen die Hauptrolle bei "Prozessor III" in der Staatsoper. (Foto: Stephan Rumpf)

Sigrid Vanderbek hat sich in die Philharmonie gesetzt, sie hört dort den drei Sängerinnen von Ganes zu. Die Südtirolerinnen besingen ladinische Sagen aus ihrer Heimat und füllen damit regelmäßig Hallen. Jetzt lassen sie künstlichen Nebel über die Bühne ziehen, ein Pianist spielt ein Intro, und Vanderbek erzählt, sie sei eben noch in der Salvatorkirche gewesen, wo ein byzantinischer Kantorenchor gesungen hat. Später wollte sie ins spanische Kulturinstitut, da sei aber die Schlange vor dem Eingang zu lang gewesen. "Ich habe mir bewusst Konzerte ausgesucht, bei denen man nicht immer etwas verzehren muss", sagt Vanderbek. Wenn man die Nacht überstehen wolle, könne man nicht überall trinken.

Es ist kurz vor 23 Uhr, vor dem Hintereingang der Staatsoper herrscht Gedränge. Das Künstlerkollektiv Agora hat Ludwig van Beethovens Oper "Fidelio" in seine Bestandteile zerlegt, nun lässt es den Klang der Stimmen und der Instrumentengruppen durch einen länglichen Raum wandern. Die Künstler erkunden, wie Musiktheater erlebt wird; das Projekt "Prozessor III" wird nur an diesem Wochenende aufgeführt. In zwei Vorgängerprojekten habe man die Zuschauer einmal multimedial selbst ins Bühnenbild versetzt und einmal eine der Rollen von allem anderen isoliert, sagt Valentin Köhler von Agora. Später wolle man das Projekt gebündelt aufgreifen. Jetzt stehe zunächst der Klang im Mittelpunkt: Der Raum ist in blaues Licht getaucht, die Besucher lassen sich vom Klang umfangen, mal werden sie vom Orchester geradezu überrollt, mal versuchen sie den Tönen zu folgen, die in den Fluchten verschwinden - und plötzlich steht da die Sopranistin Anna Gabler, sie drängt sich durch die Besucher, singt als Leonore ein Duett mit einer Stimme vom Band. Dann verschwindet auch sie, läuft auf ein Licht am Ende des Ganges zu, lässt die Gäste in der Dunkelheit zurück. Es ist ein überwältigendes Finale für das Projekt, aber noch nicht für die lange Nacht. Die letzten Konzerte enden erst am frühen Morgen.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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