Kritik an Autobahn-Grenzkontrollen:Einer spielt den starken Maxe - und alle sind genervt

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SZ-Leser halten die Schengen-widrige Aktion für ärgerliche Symbolpolitik und erinnern auch an die Zeitverluste durch Grenzformalitäten in Pendlerzügen

"Herrmann will Grenze weiter kontrollieren" vom 18. August:

Pendler werden schikaniert

Den Beitrag habe ich mit großem Interesse gelesen. Leider ist dort nur von den Einschränkungen an den Autobahnen die Rede. Als geplagte Zug-Pendlerin wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie auch zu den Einschränkungen im Zugverkehr recherchieren und berichten würden. In letzter Zeit häufen sich in meiner Wahrnehmung die Kontrollen auf der Strecke Kufstein-München. Gerade neulich gab es frühmorgens zur besten "Pendel-Zeit" wieder Verspätungen von 60 Minuten wegen Grenz-Kontrollen der Züge. Ich kann den Sinn nicht erkennen, ausgerechnet Pendlerzüge - noch dazu ohne vernünftige Fahrgastinformationen - aufzuhalten. Die Zugstrecke Kufstein-Rosenheim-München ist hoch frequentiert und es sind bestimmt mehrere hundert Fahrgäste betroffen. Jede/r weiß, dass Pendeln ohnehin stresst, und das nenne ich Schikane von hart arbeitenden Menschen, die schließlich Steuerzahler sind. Einem bayerischen Innenminister Herrmann müsste deren Gesundheit eigentlich besonders am Herzen liegen.

Mich würde interessieren, wie häufig es Kontrollen bei den Zügen gibt und wie viele Flüchtlinge im Zug schon "aufgegriffen" wurden. Das können nicht viele sein, schließlich sind die Züge meist überfüllt - mit Pendlern. Ich frage mich, wo da noch Flüchtlinge Platz finden sollen. Michaela Winhart, Ebersberg

Von Schengen weit abgekommen

Der durch das Schengen-Abkommen in der Regel unkontrollierte Grenzübertritt ist mehr als lediglich Freizügigkeit, er ist ein wesentliches Element und Symbol europäischer Integration und Verbundenheit. Es ist bedauerlich, wenn Einzelne nichts weiter darin sehen als eine Bedrohung der Sicherheit, statt den nicht nur ideellen Gewinn für alle zu erkennen. Schlimm wird's aber, wenn jemand an politisch entscheidender Stelle Freiheit nur noch auf diesen Gefährdungsaspekt reduziert und allen anderen diesen eingeengten Blickwinkel aufzwingt. Das ist leider beim bayerischen Innenminister der Fall.

Natürlich erhöht es die Sicherheit, wenn jeder ständig und immerzu kontrolliert, überwacht, aufgehalten wird. Aber irgendwann wird es so, dass der Preis einer derart zwanghaften Kontrollwut zu hoch wird, wenn nämlich die Freiheitlichkeit selbst darunter leidet und das, was angeblich geschützt werden soll, auf dem Altar einer allumfassenden Kontrolle geopfert wird.

Das passiert inzwischen täglich stundenlang an den rund um die Uhr mit hohem Personalaufwand überwachten Autobahnübergängen von Österreich nach Deutschland. Dieses zwanghafte "wir müssen alles überwachen und kontrollieren" begründet Herrmann nun seit Jahren, indem er anklagend mit dem Finger auf die Staaten mit Schengen-Außengrenzen zeigt und sich beschwert: "Die tun ihre Aufgabe nicht, deswegen müssen wir das an unseren Binnengrenzen nachholen." Und seit er das - wohlgemerkt: theoretisch vorübergehend! - darf, will er das nun überhaupt nicht mehr aus der Hand geben und auf Dauer in die Kleinstaaterei zurückfallen. - Stattdessen wäre seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommen ein völlig anderer Weg notwendig: Wir in Deutschland sowie viele andere im Binnenraum haben das zufällige Privileg, keine Außengrenzen kontrollieren und sichern zu müssen. Also lehnen sich unsere "Sicherheitspolitiker" selbstzufrieden zurück und hacken auf den überforderten Außenstaaten herum. Die seien nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Falsch - die Verpflichtung, interne Freizügigkeit durch sichere Außengrenzen zu ermöglichen, hat die gesamte Gemeinschaft, haben alle Staaten, die die Vorteile genießen. Also hätte es seit vielen Jahren einen gemeinsamen schrittweisen Aufbau der Kapazität zur Kontrolle, Sicherung und vor allem auch Prüfung und Registrierung von Flüchtenden und Asylsuchenden geben müssen. Gemeinsam heißt nicht nur gemeinsam finanziert, sondern auch personell gemeinsam ausgestattet, von allen Nationen des Schengenraums, physisch aber an den Grenzen zu Wasser, zu Lande und den Flughäfen der Länder, die eben nach außen gehen. Ergänzt werden kann und muss das gern auch durch eine intensive Schleierfahndung, denn das ist der ebenso wirksame, aber bessere Weg als stundenlange Grenzstaus, und bei geringerem Personaleinsatz.

Dieser Aspekt europäischer Solidarität ist mühsam, er erfordert Aufwand für gemeinsame Aktivitäten an den Außengrenzen. Er ist deshalb in den Köpfen unserer Politik viel zu lange ausgeblendet worden. Das weder im eigenen Land noch vor allem im Zusammenwirken mit den europäischen Partnern umgesetzt zu haben, ist eines der größten Versäumnisse aller Regierungen Merkel. Die anderen anzuklagen ist ja auch so viel einfacher und bei vielen Wählern erfolgversprechender, als das Richtige anzugehen und zu tun. Obendrein kann man dann auch unter dem Beifall der falschen Landsleute den starken Maxe hervorkehren und behaupten, das Versäumnis Anderer müsse man nun "leider" an den eigenen Grenzen ausbaden. Nur: Herr Herrmann badet selbst überhaupt nichts aus, er stellt sich halt medienwirksam an den Reichenhaller Übergang, schwadroniert von "Erfolgen" bei der Kontrolle und fährt oder fliegt staufrei wieder heim.

Er sollte einen Monat lang mal Pendler den gesamten Tag begleiten, selbst mal eine Dreiviertelstunde oder länger jeden Tag im Stau stehen, den er und seine europafeindlichen Gesinnungsgenossen in der CSU und anderen Parteien da verursachen, dann sähe er die Sache vielleicht endlich mit offenen Augen und eben nicht nur als "Sicherheitsrisiko". Europäische Integration und Solidarität bekommen wir nicht geschenkt, die müssen wir uns erarbeiten. In dem Fall durch aktive Beteiligung, finanziell wie personell, an den Voraussetzungen für das, was wir lange genießen konnten und das solche Politiker mit überzogenem "Sicherheitsdenken" uns wieder entreißen wollen. Mögen die europäischen Behörden dem Innenminister dieses Instrument endlich wieder auf Dauer aus der Hand nehmen! Friedrich-Karl Bruhns, München

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© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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