Kritik am Freistaat:Organisatorisches Chaos

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Innere Mission kritisiert Umgang mit Flüchtlingen

Von Inga Rahmsdorf

Die achtjährige Samira wohnt seit drei Monaten in der Bayernkaserne und möchte eine Schule besuchen. "Doch wir dürfen sie nicht in die Schule schicken", sagt Andrea Betz, Leiterin der Abteilung für Flüchtlinge der Inneren Mission (IM) München. Denn nach dem Gesetzentwurf des Bayerischen Integrationsgesetzes soll für Flüchtlingskinder nicht die Schulpflicht gelten, solange sie in Erstaufnahmeeinrichtungen leben. Sie sollen zwar einen Ersatzunterricht in den Unterkünften erhalten, doch den gebe es bisher noch nicht, so Betz. Die Situation von Samira ist eines von mehreren Beispielen für eine Entwicklung, die den Mitarbeitern in der Münchner Flüchtlingsarbeit zunehmend Sorgen bereitet. Betz und Günther Bauer, der Chef der Inneren Mission, äußerten daher deutliche Kritik: Beim Freistaat Bayern und auf Bundesebene werde das "organisatorische Chaos in der Flüchtlingspolitik" immer größer.

Dabei geht es nicht nur um das Integrationsgesetz. Erschwert werde die Flüchtlingsarbeit zunehmend dadurch, dass die Regierung von Oberbayern immer mehr Aufgaben an private Dienstleister vergebe, sagt Betz. Und dass bei der Vergabe nur der günstigste Preis zähle. Zudem beobachten die Vertreter der Inneren Mission skeptisch, dass die Erstaufnahmeeinrichtung der Bayernkaserne im kommenden Jahr nach Fürstenfeldbruck verlegt werden soll. Bauer übte außerdem deutliche Kritik an den Plänen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), künftig in jedem Bundesland in zentralen Ankunftszentren die Asylanträge in Schnellverfahren zu bearbeiten. Das Konzept für diese Ankunftszentren sei von oben implementiert, ohne die Kommunen, die Kirchengemeinden und die Wohlfahrtsverbände, die die Integrationsarbeit leisten, einzubeziehen, so Bauer. Es gehe dabei nicht mehr um menschliche Schicksale, sondern nur noch um Logistik.

Wo das Ankunftszentrum in Bayern errichtet wird, dafür sei das Sozialministerium derzeit noch in Gesprächen mit dem Bundesamt, sagt Martin Nell, Sprecher der Regierung von Oberbayern. Angedacht ist offenbar der Standort Bamberg. Was wird dann aus dem Ankunftszentrum München, das derzeit die erste Anlaufstelle ist und das vor einem Jahr eröffnet wurde? Das sei noch zu klären, so Nell. Klar sei aber, "dass die Aufnahmeeinrichtungen in jedem Regierungsbezirk im Flächenstaat Bayern auch künftig eine Bedeutung haben werden."

Die Innere Mission betreut in München 7500 Flüchtlinge in 20 Unterkünften. Doch die Arbeit der freien Wohlfahrtsverbände werde zunehmend erschwert. Ein wachsendes Problem sehen Betz und Bauer auch darin, dass in immer mehr Flüchtlingsunterkünften private Dienstleistungsfirmen mit der Sozialberatung und der Betreuung von Kindern und Jugendlichen beauftragt werden. Im vergangenen Monat war das Münchner Ankunftszentrum in die Schlagzeilen geraten, weil die Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Siba Security GmbH ermittelt, da sie Flüchtlinge erpresst haben sollen. Und die Regierung hatte ausgerechnet dieselbe Firma kurz zuvor mit der Sozialbetreuung beauftragt.

"Wir werden bewusst von der Regierung von Oberbayern benachteiligt und rausgedrängt", so Betz. In einer Flüchtlingsunterkunft habe ein privater Dienstleister Studenten für die Kinderbetreuung beschäftigt. Die Innere Mission habe dagegen den Auftrag vom Stadtjugendamt, sich mit Fachkräften um Kinder und Jugendliche zu kümmern. Bei der Vergabe der Aufträge sei aber das einzige Auswahlkriterium der günstigste Preis und nicht die fachliche Kompetenz, dabei sei gerade die soziale Betreuung ein sensibles Gebiet.

Der Freistaat und das Bundesamt würden mit diesen Entwicklungen die Flüchtlingsarbeit erschweren, so Betz und Bauer. Das Engagement der Stadt München hingegen lobten sie. Denn die Stadt übernimmt weiterhin freiwillige Leistungen, wie die Finanzierung von Fachkräften für die Kinderbetreuung in Unterkünften. Auch zahlt sie die zusätzlichen Kosten für einen verbesserten Personalschlüssel bei der Asylsozialbetreuung. Die Stadt hat zudem beschlossen, Sprachkurse für alle Flüchtlinge zu ermöglichen und nicht nur für diejenigen, die eine sichere Bleibeperspektive haben.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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