Krisen-Intervention:Der Schrecken nach der Angst

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Im Dauereinsatz: Martin Irlinger vom Krisen-Interventions-Team. (Foto: Andreas Gebert/picture alliance/dpa)

Das KIT betreut Hunderte Menschen, die unter den Folgen der Gewalttat leiden - auch in den Schulen.

Von Lars Langenau und Kassian Stroh

Die Lage habe sich beruhigt, so heißt das in den Nachrichten stets, und natürlich ist das auch in München längst so an diesem Sonntagnachmittag. Aber was heißt schon beruhigt? Was da passiert ist beim Amoklauf, "das wird vielen Augenzeugen jetzt erst bewusst", sagt Martin Irlinger, "wenn der erste Schock vorbei ist". Und deshalb hat sich für die, die das Töten direkt miterlebt haben, die Lage noch lange nicht beruhigt, und auch nicht für Irlinger und seine Kollegen vom Münchner Krisen-Interventions-Team (KIT). Am Sonntagmittag gab es eine SMS an die etwa 50 ehrenamtlichen Helfer: Alle Kräfte würden benötigt. Etwa zwei Dutzend von ihnen waren auch am Sonntag im Einsatz.

In den Schulen der Opfer und des Täters sollen die Kinder darüber reden

Ihm habe am Samstag eine Augenzeugin aus dem Olympia-Einkaufszentrum erzählt, sie bekomme nun Angst, wenn sie jemanden mit einem Rucksack sehe, berichtet Irlinger. "Manche schlafen schlecht", bei anderen tauchten Eindrücke und Gesichter aus der Schreckensnacht im Traum auf. "Das ist ganz unterschiedlich, da gibt es kein Schema F", sagt Irlinger. Und ganz wichtig ist ihm: "Das ist normal, wenn es einem nicht gut geht, das sind normale Folgeerscheinungen, die auch wieder vorbeigehen." Nur wenn sie länger als zwei, drei Wochen andauertem, dann brauche man unbedingt professionelle Hilfe.

Am Samstag haben die KIT-Helfer zum Beispiel eine Info-Veranstaltung angeboten: in einem Pfarrsaal nahe dem OEZ, für Mitarbeiter von dort, um Fragen zu klären. Was macht das mit der Psyche, wenn man Dinge wie einen Amoklauf erlebt? Wie hilft man Mitarbeitern, die so etwas gesehen haben? KIT-Helfer waren auch am Tatort, um dort die Menschen zu unterstützen, darunter Angehörige und Freunde von Opfern. Und in vielen Einzelgesprächen haben sie Augenzeugen beraten, die sich von sich aus gemeldet haben.

Begonnen hat der Einsatz am Freitagabend um halb sieben - vor allem an zwei Orten: In einer Filiale von Kentucky Fried Chicken gut einen halben Kilometer südlich des OEZ wurden bis zu 500 Augenzeugen von der Polizei versammelt und befragt. Die KIT-Helfer kümmerten sich dort etwa um Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern unterwegs waren, wie Irlinger sagt. Um eine Verkäuferin, die erzählt hat, wie neben ihr ihre Chefin erschossen worden ist. Oder um eine Frau, die gegen Mitternacht noch immer ihr Kind suchte. Sie hatte es verloren im OEZ, im Chaos. Es war erst drei Jahre alt. Der zweite Ort ist die Werner-von-Linde-Halle hinter dem Olympiastadion: Dorthin wurden all jene gebracht, die nicht in ihre Wohnungen zurückkamen, die nicht wussten, wohin sie sollten. Auch hier waren überall Ehrenamtliche vom KIT unterwegs. Sie sprachen die Menschen an, ob sie Hilfe brauchen; sie spielten und malten mit Kindern. Und sie überbrachten Todesnachrichten.

Und was kann man in solchen extremen Situation machen, wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind getötet wurde? "Für die Menschen da sein, sie in den Arm nehmen, zuhören", sagt Irlinger.

Am Sonntag war das Krisen-Interventions-Team nicht zuletzt mit den Vorbereitungen für diesen Montag beschäftigt: Ein Stab von Schulpsychologen hat sich gebildet. In den Schulen der Opfer und auch des Täters sollen die Kinder von Schulpsychologen betreut werden, das KIT wäre damit personell überfordert.

Für alle Zeugen des Amoklaufs und sonstige Betroffene, die Fragen oder Probleme haben, ist eine zentrale Beratungs-Hotline eingerichtet worden: Sie ist von acht bis 22 Uhr telefonisch zu erreichen unter der Nummer 089/21372078.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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