Kriegsverbrecherprozess:"Erwischt hat es nur die armen Teufel"

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Immer mehr Zeitzeugen belasten den Angeklagten, der gibt sich aber nach wie vor unbeeindruckt.

Alexander Krug

Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Josef Scheungraber, 90, kommt immer mehr in Erklärungsnotstand. Am achten Verhandlungstag bestätigte ein italienischer Ermittler am Mittwoch im Schwurgericht, dass im fraglichen Zeitraum im Juni 1944 nur die Einheit des Angeklagten in Falzano di Cortona tätig war. "In diesem Tal, in dieser Gegend und in diesen Tagen war nur das Gebirgs-Pionier-Bataillon 818", sagte Sandro R.. Scheungraber war damals Kompaniechef und soll nach einem Partisanenüberfall einen Vergeltungsschlag befohlen haben, bei dem 14 Zivilisten ermordet wurden.

Angeklagt wegen 14-fachen Mordes: Der ehemalige Leutnant Josef Scheungraber, 90, vor dem Münchner Schwurgericht. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Der Carabiniere Sandro R. aus Schlanders in Südtirol war Ende 2001 zu einer Spezialabteilung der italienischen Militärstaatsanwaltschaft abgeordnet worden, die zahlreiche Massaker deutscher Soldaten in Italien untersuchte. Anfang 2003 hörte Sandro R. erstmals von dem Weiler Falzano di Cortona in der Toskana. Nach und nach machte er Zeugen ausfindig, die 1944 in der Einheit 818 dienten. Viele waren Südtiroler, die 1943 von der Wehrmacht eingezogen worden waren.

Einer von ihnen war der Gefreite Josef G., der in der Kompanie des Angeklagten gedient hatte. Als Sandro R. 2004 den damals 82-Jährigen vernahm, war er "noch topfit. Er war ein einfacher Mensch, der immer in den Bergen gelebt hat." Josef G. erinnerte sich an einen Partisanenüberfall, bei dem zwei Kameraden erschossen wurden. Danach habe die Einheit "Häuser durchsucht und in Brand gesteckt". Von Kameraden habe er später erfahren, dass ein Haus mit Gefangenen in die Luft gesprengt worden sei. Ermittler Sandro R. ging sehr behutsam mit dem alten Mann um. Nachfragen hielt er zunächst einmal "für nicht angebracht", zumal er den Zeugen für weitere Aussagen einplante. Doch dazu kam es nicht mehr. Josef G. verstarb vor seiner zweiten Vernehmung.

"Die haben ein Mordstheater gemacht"

Etwas mehr Glück hatten die Ermittler mit Heinrich P. aus Schenna in Südtirol. Auch er ist inzwischen verstorben, doch zuvor konnte er bei drei Vernehmungen 2004, 2005 und 2006 noch viele wichtige Details nennen: Heinrich P. war 1944 ein junger Mann von 24 Jahren. Er war wie seine Südtiroler Kameraden in Mittenwald bei den Gebirgsjägern ausgebildet und dem Gebirgs-Pionier-Bataillon 818 zugeteilt worden. Heinrich P. erinnerte sich, dass bei dem Partisanenüberfall zwei deutsche Soldaten seiner Kompanie erschossen wurden.

Ein dritter habe die Attacke mit einem Armdurchschuss überlebt. Sofort nach dessen Meldung seien Soldaten losgezogen und hätten in Falzano einen 14-jährigen Jungen erschossen, der bei einem Munitionsdepot der Partisanen erwischt wurde. Am nächsten Morgen um drei Uhr sei die ganze Einheit ausgerückt, um die Gegend zu durchkämmen. "Die haben ein Mordstheater gemacht."

Er selbst sei nicht dabei gewesen, wisse aber von Kameraden, dass elf Männer in ein Haus getrieben wurden, das dann mit der erbeuteten Munition der Partisanen in die Luft gesprengt wurde. "Die Kameraden haben erzählt, dass die Gefangenen vorher verhört wurden, aber bestritten haben, Partisanen zu sein. Ich denke, die Partisanen waren viel zu schlau, die waren längst abgehauen. Erwischt hat es nur die Zivilisten, die armen Teufel. Ich bin froh, dass ich an diesem Massaker nicht teilgenommen habe."

Vernehmung mittels Video-Schaltung

Der Zeuge gab an, dass der Kompaniechef den Einsatz von Beginn an geleitet habe. "Er wollte die Gefangenen erst aufhängen. Später hat er beschlossen, sie mit der beschlagnahmten Munition in die Luft zu sprengen." Als Kompaniechef benannte der Zeuge einen "Stengel", ganz offensichtlich eine falsche Erinnerung. Denn einen "Stengel" gab es nie in der Einheit. Kompaniechef war der angeklagte Josef Scheungraber, Kommandeur der noch lebende, aber verhandlungsunfähige Ex-Major Herbert Stommel. Verwechselte der Zeuge also einfach nur die Namen? Vieles spricht dafür, zumal er stets vom "Kompaniechef" sprach und das war niemand anderes als Scheungraber.

Der hat bislang alles bestritten, er will nicht einmal "Kenntnis" von dem Massaker haben. Dem Gericht liegen noch mehr Aussagen ehemaliger Einheitsangehöriger vor. Einige italienische und österreichische Zeugen leben auch noch, sie werden voraussichtlich mittels einer Video-Schaltung vernommen. Einige werden aber auch noch persönlich erscheinen. Der nächste wird am kommenden Dienstag erwartet.

© SZ vom 16.10.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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