Kommunalentwicklung:Magnetische Anziehungskraft

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Historiker Hermann Rumschötte (Foto: Claus Schunk)

Ein Neubiberger Historiker ist überzeugt: Mega-Trends werden auch in den nächsten 25 Jahren den Großraum bestimmen.

Von Hermann Rumschöttel

Fragt man einen Historiker nach der Zukunft, dann schaut dieser zunächst in die Vergangenheit. Welche Entwicklungen haben die letzten 25 Jahre bestimmt? Laufen diese aus oder laufen sie weiter?

Gemeint sind nicht die alltäglichen Routinen in den Familien, den Gemeinden oder im Landkreis, die auch morgen so sein werden, wie sie es gestern oder vor 200 Jahren waren - menschlich, oft allzu menschlich. Der Historiker vor der Kristallkugel, in der sich die Zukunft verbirgt, sucht nach den großen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen, geistigen oder technischen Bewegungen, die sich langsam entfalten, alle Lebensbereiche beeinflussen und Jahrzehnte gestalten und umgestalten. Die Welt und also auch den Landkreis München. Die Wissenschaft bezeichnet sie oft als Mega-Trends.

Welche dieser Mega-Trends haben in den letzten 25 Jahren den Landkreis am meisten geprägt und verändert? Die Digitalisierung mit ihrer alles durchdringenden Daten- und Internetkultur; die Verstädterung, das Zusammenwachsen der großen Stadt und des Landes um den Metropol- und Kraftort München mit seiner magnetischen Anziehung; die galoppierende Mobilität der Menschen und Waren; der demografische Wandel in einer älter werdenden Gesellschaft; die Vorherrschaft der Ökonomie und die nicht erfolglosen Gegenangriffe der Ökologie; die Entwicklung einer mit Bildungseinrichtungen angefüllten und trotzdem immer unübersichtlicher werdenden Wissensgesellschaft; die Individualisierung der Lebensformen und der Kultur und - natürlich - die Globalisierung.

Früher haben die Ayinger, die Ismaninger oder die Aschheimer gedacht, sie seien der Mittelpunkt der Welt, jetzt kommt die Welt tatsächlich. In der Kristallkugel ist nichts anderes zu erkennen, als dass diese Mega-Trends auch in den nächsten 25 Jahren dem Landkreis erhalten bleiben (20 Prozent mehr Menschen, 25 Prozent mehr Gewerbe, 30 Prozent mehr Verkehr, 40 Prozent mehr Klagen über mehr Menschen, mehr Gewerbe, mehr Verkehr). Ergänzt werden sie durch bereits vorhandene Tendenzen, die in die Klasse der Mega-Trends aufsteigen dürften: Das ausufernde Wachsen einer neuen Sicherheitskultur (aus der Risikogesellschaft wird eine Sicherheitsgesellschaft); die Vergrößerung der kommunalen Gestaltungsräume ("Die Zukunft gehört den Regionen."); eine die gesellschaftliche Differenzierung und Spaltung widerspiegelnde rasante Siedlungsentwicklung: der erste, der goldene Siedlungsring um München, für den bürgerlichen Geldadel, der zweite, der silberne Siedlungsring, für das dienstleistende Personal der Gesellschaft, der dritte, der bronzene Siedlungsring, für den Rest. Alles zusammengehalten durch ein engmaschiger werdendes Verkehrsnetz.

Andererseits: Zu Mega-Trends gehörten und gehören Gegenbewegungen. Globalisierung und die Sehnsucht nach Heimat, nach Orientierung in überschaubaren Räumen sind zwei Seiten einer Medaille. Ebenso Individualisierung einerseits und die gemeinschaftsgestaltende Mitwirkung in Ehrenämtern und Vereinen andererseits. Die Auflösung überkommener Bindungen und eine neue Freude an der Tradition und auch an Religion. Digitale Internetkultur und der Wunsch nach Büchern und Zeitungen. Ökonomische Raffgier nach gewinnbringendem Wissen und musische Bildung, schöpferisches Gestalten und Kunst; Surfen in den sich überschlagenden Wellen der Datenflut und die Suche nach den Inseln gesicherter Information. Auch in Zukunft bleibt die Wirklichkeit naturtrüb.

Wie sich der Raum um München, das Leben seiner Bewohner und die Strukturen der Gemeinden und Städte in den nächsten 25 Jahren konkret entwickeln, wird zwar von den Mega-Trends beeinflusst werden; entscheidend aber wird sein, was die Menschen in ihrem engeren Umfeld aus diesen Mega-Trends machen. Zukunft ist kein über uns verhängtes Schicksal, sondern Zukunft kann man gestalten. Deshalb lässt sie sich so schwer vorhersagen. Sie ist nicht verschlossen und dunkel, sondern offen und voller Chancen. Denken Sie nur an die vergangenen 25 Jahre.

Der Autor ist Historiker und war von 1997 bis 2008 Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns. Er lebt mit seiner Frau Johanna in Neubiberg.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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