Kommentar:Zum zweiten Mal Opfer

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Es gibt zu wenig Flüchtlingsunterkünfte nur für Frauen. Dabei werden sie dort oft ihren Ängsten erneut ausgesetzt

Von Silke Lode

Wer sich in einer beliebigen Flüchtlingsunterkunft umschaut, wird dort eines schnell feststellen: Die Einrichtungen sind von Männern dominiert, nur etwa ein Viertel aller Geflüchteten sind Frauen. Es gibt für München keine Zahlen, wie viele von ihnen mit Familie kommen und wie viele alleine reisen; fest steht aber, dass diese Frauen besonderen Schutz brauchen. Wenn sie sich ohne Partner auf den Weg nach Europa machen, spielen oft nicht nur Kriege, Gewalt und Armut eine Rolle, sondern zum Beispiel die Liebe zu anderen Frauen, Zwangsehen oder sexuelle Gewalt. Und letztere erleben auf dem Fluchtweg fast alle Frauen, die keinen männlichen Begleiter haben.

Seit einigen Monaten gibt es in München eine erste reine Frauenunterkunft mit 60 Plätzen, für gut ein Dutzend Härtefälle bietet ein Wohnprojekt Hilfe. Insgesamt aber leben derzeit fast 3500 weibliche Flüchtlinge in München. Sicher wollen gerade die, die mit ihrer Familie hier sind, meist nicht separat untergebracht werden. Auch die, die alleine geflohen sind, sollten nicht zwangsweise von Männern getrennt werden, manche sind schon mit einer reinen Frauenetage zufrieden. Aber sie sollten die Wahl haben - davon ist die Praxis weit entfernt.

Für die Unterbringung und die Sicherheit von Asylsuchenden ist die Regierung von Oberbayern zuständig. Sie lehnte reine Frauenunterkünfte lange ab mit Hinweis auf den großen Unterbringungsdruck. Aus einer akuten Notsituation ist aber längst eine planbare Herausforderung geworden: Es ist klar, wie viele Flüchtlinge in München und Oberbayern ungefähr betreut werden müssen, auch für den Frauenanteil gibt es Erfahrungswerte. Und für spezielle Frauenunterkünfte müssten ja nicht einmal zusätzliche Plätze geschaffen werden. Das Zögern könnte einen anderen Grund haben: Immer wieder heißt es, Frauen seinen eben ein gutes Korrektiv für das Sozialverhalten in gemischten Unterkünften. Ein schlechtes Argument. Damit es dort ruhig und gesittet zugeht, muss es andere Wege geben, als traumatisierte Frauen erneut ihren Ängsten auszusetzen und sie in eine Situation zu bringen, in der sie leicht wieder Opfer werden können.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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