Kommentar:Wo bleibt die Fantasie?

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Wenn in München neu gebaut wird, entsteht meist nur architektonisches Mittelmaß. Es ist höchste Zeit, dass Bauherren und Architekten endlich wieder Gebäude schaffen, in denen man gern lebt - und die man gern Besuchern zeigt

Von Nina Bovensiepen

Schon mal einen München-Besucher voller Stolz in die Welfenstraße geführt? Oder den Freunden aus Berlin oder Hamburg die Besichtigung der Parkstadt Schwabing vorgeschlagen? Einen Architektur-Ausflug an die Arnulfstraße oder den Ackermannbogen, wo ebenfalls in den vergangenen Jahren neuer Wohnraum entstanden ist? Vermutlich nicht und das zeigt ein Problem dieser Stadt, in der es schwierig genug geworden ist, überhaupt Wohnungen zu bauen. Doch wenn gebaut wird, entstehen zu selten architektonische Sensationen oder wenigstens Lichtblicke, wie das in vergangenen Jahrzehnten zum Beispiel mit der Borstei oder dem Olympiadorf gelungen ist. Wenn Neues gebaut oder Bestehendes saniert wird, entscheiden sich Politiker, Bauherren, Eigentümer und Architekten häufig für Mittelmaß.

Daher ist es richtig und wichtig, dass CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl eine Debatte darüber anstößt. Ein "Weiter so" schadet München. Das gilt aus schlichtem ökonomischem Kalkül, weil die Attraktivität der Stadt leidet. Vor allem geht es aber um die Menschen, die in dieser Stadt leben. Die für das viele Geld, das sie inzwischen in jedem Viertel fürs Wohnen ausgeben müssen, zu Recht erwarten, dass sie etwas geboten bekommen - sei es eine Grünfläche, ein Platz zum Verweilen, eine ungewöhnliche Aussicht, Licht oder schlicht Charme. Die Zahl der Bauflächen ist endlich. Aber gerade deshalb fragt man sich, ob das auch zu mangelnder Fantasie führen muss. Oder müssen sich Bauherren und Architekten einfach keine Mühe mehr machen, weil ihnen sowieso jedes Objekt zu Irrsinnspreisen abgenommen wird?

Zeit wird es, dass sich etwas ändert. Insofern wäre es im Sinne der Münchner, wenn Pretzls Vorstoß Gehör findet und zu einer gemeinsamen Anstrengung wird. Einer Anstrengung von Politikern, die bestehende Planungsvorgaben und Verfahren wie etwa Architektenwettbewerbe daraufhin prüfen sollten, ob sie Kreativität verhindern. Und von Bauherren, Architekten und Gestaltern, die sich wagen sollten, öfter aus dem Mittelmaß auszubrechen und etwas zu schaffen, in dem man gerne lebt - und das man gerne mal voller Stolz einem München-Besucher präsentieren würde.

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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