Kommentar:Leider keine Satire

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Schulfrei, weil man sonst in München keinen Ausweis mehr bekommt? Klingt irre, ist leider die Wahrheit und eine Bankrotterklärung der Stadt

Von Kassian Stroh

Ein Münchner Kindl braucht schon einen ziemlich guten Grund, um mal außerplanmäßig schulfrei zu bekommen. Einen Sahara-Sommer mit 40 Grad im Klasszimmer zum Beispiel. Oder viel zu viel Formaldehyd in der Luft desselbigen. Oder die Hochzeit eines nahen Verwandten, aber nur eines sehr nahen - andernfalls lassen sich Schulleiter nicht erweichen. Die Stadt München hat nun einen neuen Grund für Schulfrei gefunden: wenn man einen neuen Ausweis oder Pass braucht. Klingt wie Satire, ist aber so.

In den vergangenen Tagen gab es nämlich ungezählte Eltern, die nach Schulschluss ihren Nachwuchs direkt zum Bürgerbüro schleiften, weil es einen neuen Pass oder Ausweis nämlich nur bei persönlicher Vorsprache gibt. Und da standen sie dann vor verschlossenen Türen. Nicht weil Feierabend war oder Mittagspause, sondern weil die bedauernswerten Mitarbeiter des Kreisverwaltungsreferats derart überlastet sind, dass sie jetzt immer schon am Vormittag die Türen schließen, damit sie bis zum Abend mit ihrer Arbeit fertig sind. Seit Monaten ist die Lage prekär, in den vergangenen zwei Wochen ist sie auf eine bizarre Weise eskaliert. Und das ist am wenigsten die Schuld der Eltern, die erst kurz vor dem Urlaub bemerken, dass der Pass seit Monaten abgelaufen ist.

Die Stadtspitze und der Stadtrat haben die Bürgerbüros offensichtlich kaputtgespart - trotz wachsender Bevölkerung, was zwangsläufig eine wachsende Nachfrage nach den Dienstleistungen des Kreisverwaltungsreferats nach sich zieht. Es ist gut, dass in den riesigen Behördenapparaten kontinuierlich Einsparmöglichkeiten gesucht werden. Die Bürgerbüros sind dafür aber der falsche Ort - denn Pässe oder Führungszeugnisse auszustellen, ist eine hoheitliche Aufgabe, die sich nicht delegieren lässt. Und es ist die Pflicht der Verwaltung, sie bürgerfreundlich zu erledigen. Deshalb sind die Zustände in den Bürgerbüros und die Schulfrei-Empfehlung keine Satire, noch nicht einmal eine Realsatire. Sondern eine Bankrotterklärung der Stadt.

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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