Kommentar:Bizarre Petitesse

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Man könnte meinen, es gäbe wichtigere Fragen als die Betriebszeiten des Registrierungssystems für Flüchtlinge. Die Sache zeigt aber, wie es um die innerdeutsche Solidarität bestellt ist, die man von Europa einfordert

Von Inga Rahmsdorf

Die europäischen Staaten sollen sich endlich auf einheitliche Standards für Flüchtlinge einigen. Das fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso wie SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dass sich in der Asylpolitik aber offenbar noch nicht einmal die Bundesländer bei ziemlich simplen Angelegenheiten einigen können, zeigt das Easy-System, das anhand eines Schlüssels Flüchtlinge bundesweit verteilt. Ob das Computerprogramm nun 24 Stunden läuft oder nachts abgeschaltet wird, ist doch eigentlich eine Petitesse. Könnte man meinen. Doch für einige Kommunen wie München ist es entscheidend, ob neu ankommende Asylbewerber rund um die Uhr registriert werden können. Schließlich werden sie sowieso Tag und Nacht aufgenommen. Die Ankunft von Flüchtlingen lässt sich nicht planen.

Ein IT-Programm, das Öffnungszeiten hat - und das auch noch bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Ja, geht's noch? Täglich stöhnen Politiker, welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Und dann spricht sich die Mehrheit der Länder dagegen aus, ein Computerprogramm nachts laufen zu lassen - auch wenn ein 24-Stunden-Betrieb vielerorts das Prozedere der Registrierung plus Unterbringung erleichtern könnte. Warum der Widerstand? Dazu will sich keiner äußern. Zu vermuten ist, dass manche Bundesländer einen höheren Personalaufwand befürchten. Und dass es sie schlicht und einfach nicht interessiert, weil die meisten Asylbewerber zuerst andere Länder passieren. So viel zur innerdeutschen Solidarität, die derzeit auf EU-Ebene gefordert wird.

Das Easy-System rund um die Uhr laufen zu lassen, ist nur ein kleiner Baustein der deutschen Asylpolitik. Es wird nicht alle Herausforderungen lösen, aber in Städten wie München die Arbeit sehr erleichtern. Und es würde auch den Flüchtlingen eine unnötige Unsicherheit ersparen: hin und her zu fahren und nicht zu wissen, wie es weitergeht. Ziel muss es schließlich sein, den Flüchtlingen so schnell wie möglich die Chance zu geben, ankommen zu können, auch, damit ihr Asylverfahren schnell beginnt.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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