Klinikum für Kinder- und Jugendpsychiatrie:Traumatisierte junge Flüchtlinge stellen Ärzte vor neue Herausforderungen

München: Junge Flüchtlinge in der Kinder- und Jugendpsychiatrie / Heckscher Klinik

Die Ärzte Vincent Eggert und Eva Reisinger nehmen sich ausführlich Zeit für ihre Patienten. Fixierungen sind für sie das letzte Mittel, wenn sie alles andere versucht haben.

(Foto: Johannes Simon)

Für die Psychiater im Heckscher-Klinikum in München sind sie eine neue Patientengruppe. Es ist beeindruckend, mit welcher Ruhe sie diese schweren Fälle behandeln.

Von Bernd Kastner

Mohamad hat seine Sim-Karte im Handy zerstört, weil er sich schützen wollte. Schützen vor weiteren schlimmen Nachrichten aus der Heimat. Dort ist sein älterer Bruder erschossen worden. Mohamad ist aus Afghanistan geflohen als einer dieser Tausenden von unbegleiteten Minderjährigen, die sich nach Deutschland durchschlagen.Er kam über den Iran, wo er monatelang arbeitete, über die Türkei, wo er inhaftiert wurde, bestieg in Griechenland ein Boot, das gekentert ist, weshalb viele Menschen ertrunken sind.

Nach zweieinhalb Jahren erreichte Mohamad, der in Wirklichkeit anders heißt, München. Da war er 16 Jahre alt, er kam an mit multiplen Traumatisierungen. So nennen es die Ärzte im Heckscher-Klinikum, die sich fortan um ihn gekümmert haben. Der Junge litt unter Schlafstörungen und Alpträumen, immer wieder blitzten vor seinem inneren Auge Bilder von der Flucht auf, vom Gefängnis. Grausame Bilder.

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie in München, einem der größten Krankenhäuser seiner Art in Deutschland, landen immer öfter jugendliche Flüchtlinge an, deren Seelen schwer verletzt sind. Das kann zu Hause im Krieg passiert sein, auf der Flucht oder in einem hiesigen Heim, wo sie nicht wissen, wie es weitergeht mit ihnen. Die Ärzte in der Heckscher haben in den vergangenen Monaten eine ganz neue Patientengruppe zu verstehen gelernt. Manchmal, wenn kein Dolmetscher da ist, müssen sie ihren geflüchteten Patienten von den Augen ablesen, was ihnen fehlen könnte.

Jeder sechste Patient ist ein Flüchtling

In Zeiten der Flüchtlingskrise hat sich die Heckscher zu einem Integrationslabor entwickelt. Jeder fünfte, sechste stationär aufgenommene Patient ist ein Flüchtling, sie werden meist als Akutfälle in einer geschützten Station aufgenommen und leben dann mit einheimischen Jugendlichen zusammen. Wie in einer riesigen Patchworkfamilie.

Oft gelingt es den Ärzten, Therapeuten und Pädagogen, die Jugendlichen zu stabilisieren, dann wird die Klinik zum Sprungbrett in ein neues Leben, in dem wieder die Sonne scheint. Wie bei dem jungen Afghanen Mohamad, der sich ganz langsam öffnete, der nach und nach stabiler wurde und in ein erträgliches Leben zurückfand.

Um Ärzte bei ihrer Arbeit mit psychisch angeschlagenen Kindern und Jugendlichen zu begleiten, hat die Heckscher der Süddeutschen Zeitung die Türen geöffnet. Besonders in Erinnerung bleibt die Ruhe der beiden jungen Ärzten Eva Reisinger und Vincent Eggart. Sie gründet auf Routine, und so finden sie die Zeit, ausführlich und einfühlend mit ihren Patienten zu sprechen.

Mit dem Jugendlichen zum Beispiel, der nicht ein und nicht aus weiß, so stark ist seine Psychose. Die Ärztin müsste ihm Blut abnehmen, er aber kann es nicht zulassen, irgendetwas blockiert ihn. Eva Reisinger spricht mit ihm wie eine Mutter, die ihr krankes Kind tröstet. Normale Tage seien eher unspektakulär, ohne Fixierung, ohne fliegenden Tisch, erzählen die Mitarbeiter, um ein Notfall-Bett auf einer Intensivstation muss sich auch niemand kümmern.

Doch es gibt eben auch die Tage, die nicht normal sind.

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