Klinikmedizin:Gefährliche Zwänge

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Zu den Zuständen an Klinken

"Tödlicher Behandlungsfehler", 13. April:

Narkose (Allgemeinanästhesie) bedeutet die reversible Ausschaltung des Bewusstseins, der Schmerzempfindung und der Schutzreflexe. Sie erfordert die kontinuierliche Anwesenheit eines Anästhesisten (Facharztstandard) und Überwachung der Vitalfunktionen. Bei sorgfältiger Lektüre erfährt der Leser, dass diese Voraussetzungen im berichteten Fall - jedenfalls den im Artikel widergegebenen Ausführungen des Gutachters zufolge - nicht gegeben waren. Den Boden für die Vernachlässigung etablierter medizinischer Standards bereitet in zunehmendem Maße das Primat der Ökonomie im Gesundheitssystem.

Die Ausgabensteigerungen der Krankenhäuser durch Tariferhöhungen, durch neue, aufwendige Behandlungsverfahren und steigende Preise der Medizinprodukte werden nicht durch adäquate Steigerung der Krankenhaus-Budgets ausgeglichen. Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal steht zunehmend in Frage, denn Personalreduktion ist auch im Krankenhaus die effektivste Maßnahme zur Kostensenkung. Zudem wird ein großer Anteil der Arbeitszeit hochqualifizierter leitender Ärzte und Pflegekräfte durch Dokumentation und Korrespondenz mit dem medizinischen Dienst der Krankenkassen verbraucht. Diese Zeit fehlt in der Patienten-versorgung sowie für die Anleitung und Ausbildung junger Kolleginnen und Kollegen. Es resultiert eine enorme Verdichtung medizinischer Leistungen und zunehmender Zeitdruck. Die negative Korrelation von Zeitdruck und Sorgfalt ist in allen Lebensbereichen evident.

Der ökonomische Druck rüttelt auch an der Qualifikation des Personals. Exemplarisch sei hier nur die Initiative eines privaten Klinik-Konzerns genannt: Zur Kostenreduktion wurden an Stelle von Narkose-ärzten geschulte Pflegekräfte - sogenannte Medizinische Assistenten für Anästhesie (MAfA) - für die Anästhesieführung eingesetzt. Gestoppt wurde das Projekt erst nach einem tödlichen Zwischenfall mit juristischen Konsequenzen.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Ressourcen ist zwingend notwendig, seien es Steuern oder Krankenversicherungsbeiträge. Dennoch stellt sich die Frage, wie lange die Bürger (und Steuerzahler) noch akzeptieren, dass drei-, vierstellige Milliardenbeträge "alternativlos" für die Folgen riskanter Spekulationen einiger Finanzmakler ausgegeben werden, während die Qualität der Einrichtungen, die der Erhaltung unseres höchsten Gutes - der Gesundheit - dienen, zunehmend durch ökonomischen Druck und Abwanderung qualifizierter, mit deutschem Steuergeld ausgebildeter Ärzte und Pflegekräfte in Länder mit besseren Arbeitsbedingungen gefährdet ist. Qualitätssicherung, Zertifizierung und Enthusiasmus der medizinischen Fachkräfte greifen ins Leere, wenn keiner mehr da ist, der Qualität in der täglichen Arbeit am Patienten liefern kann. Priv.-Doz. Dr. med. Joachim Groh Hausham

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© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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