Kampf gegen die Staatsmacht:Der Anti-Schily

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Hartmut Wächtler gilt als Linkenanwalt: Er hat früher Wackersdorf-Gegner und Wehrdienstverweigerer verteidigt und ist seinen Idealen bis heute treu geblieben

Von Christian Rost

Wer hätte gedacht, dass Hartmut Wächtler einmal an einer Polizeihochschule unterrichten würde? Ausgerechnet er. Der Münchner Anwalt, der 1973 den als Unterstützer der Roten Armee Fraktion angeklagten Rolf Pohle mitverteidigte und sich auch heute noch gerne mit der Staatsmacht anlegt, schult einmal im Jahr in Fürstenfeldbruck an der Verwaltungsschule für die höhere Laufbahn vorgesehene Polizisten in Versammlungsrecht. Da kennt er sich aus: Unzählige Male hat er Demonstranten vor Gericht verteidigt, deren friedlicher Protest als strafbarer Aufruhr ausgelegt wurde.

In der Polizeischule setzt sich Wächtler darüber mit den Beamten drei Stunden lang auseinander, ohne dass er sich mit ihnen gemein machen würde. In anderen Fällen wie dem RAF-Verteidiger und späteren Bundesinnenminister Otto Schily könnte man sagen: Da hat jemand seine einstigen Ideale über Bord geworfen. Bei Hartmut Wächtler hat so eine Transformation nie stattgefunden - er will der Polizei lediglich seine Haltung zu den Grundrechten verdeutlichen und auch wissen, wie sein Gegner tickt.

Freunde sind sie nämlich nie geworden, die Verantwortlichen bei der bayerischen Polizei und Justiz und der Strafverteidiger Wächtler. Mehr als 40 Jahre übt er den Anwaltsberuf aus, und es gibt nur einen Richter, mit dem er sich duzt. Der ist allerdings längst im Ruhestand. Wächtler hält strikt Distanz zur Macht, nach wie vor. Dem 70-Jährigen sind mittlerweile zwar "konservative Richter lieber als linke Laberer", wie er sagt, doch an seiner grundlegenden Haltung in Bezug auf die Rechte des Einzelnen hat sich nichts geändert seit der Zeit, als er in Schwabing in den wilden Jahren nach 1968 in der Rechtshilfe der Außerparlamentarischen Opposition mitarbeitete und zusammen mit einem Dutzend anderer Jurastudenten APO-Studenten Hilfestellung in Gerichtsverfahren und Tipps zur Selbstverteidigung gab. "Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich etwas anfangen kann mit meiner juristischen Ausbildung", sagt Wächtler. Das Jurastudium hatte er einst in Berlin - vor seinem Wechsel an die Uni nach München - nur angefangen, weil ihm nicht Besseres eingefallen war. Als er dann nach dem Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität gerade das zweite Staatsexamen in der Tasche hatte, kam schon sein erster großer Fall, der als Vorläufer der Stammheim-Prozesse Aufsehen hervorrief. Die Verteidigung seines Kommilitonen Pohle. Wächtler hatte da sofort seinen Stempel weg: als "Terroristenanwalt".

Inzwischen mögen sich die Zeiten geändert haben und die harten politischen Grenzen aufgeweicht sein, in der Kanzlei Wächtler und Kollegen weht der linke Geist noch immer, hier hat der Widerstand noch ein Zuhause. Sechs Anwälte arbeiten in einem hübschen, grünen Innenhof an der Rottmannstraße in einem als "Gartenhaus" bezeichneten zweistöckigen Bürobau mit Walmdach. Wenn jemand aus der linken Szene, die übrig geblieben ist in München, Probleme mit der Justiz hat, dann kommen die Leute meist hierher. Auch ein Spezialist für Asylrecht gehört zur Anwaltstruppe, die als Kollektiv arbeitet: "Jeder verdient bei uns das Gleiche", sagt Wächtler bei einem Gespräch in seinem Büro, das mit älterem, stilvollem Mobilar ausgestattet ist und dessen Fenster angenehm diffuses Licht hereinlassen. Wegen Streitereien ums Geld wird diese Kanzlei jedenfalls nicht scheitern, wie es bei manch anderen Münchner Anwälten schon der Fall war.

Der Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, die Friedensbewegung, die Wehrdienstverweigerer, der Münchner Kessel und zuletzt die Proteste gegen den G7-Gipfel in Elmau - wenn marschiert wird für eine gute Sache, wenn es um Bürgerrechte geht und dem Staat die Rote Karte gezeigt wird, war und ist Wächtler nicht weit. "Pfeifen und Johlen gehört zur Meinungsfreiheit", sagt er, und wenn er vor Gericht auftritt, lässt er sich "nichts gefallen". Er kann schneidend sein in Prozessen und behandelt seine Kontrahenten bei Bedarf auch mal von oben herab. Für Dilettanten und Wichtigtuer in seiner Zunft hat er nichts übrig. Es gebe "gute, schlechte und sehr schlechte Anwälte", sagt Wächtler ohne jede Ironie in der Stimme. Sein Credo ist, dass ein Verteidiger kämpfen muss vor Gericht und nicht dealen und tricksen. Auch ignorante Richter mag er nicht, die sich nicht einen Hauch dafür interessieren, weshalb eine Tat begangen wurde. "Es gibt Richter, denen ist das völlig egal."

Seine kritische Sicht auf Staat und Obrigkeit wurde sicherlich nachhaltig geprägt in der 68er-Zeit, es gab aber auch schon vorher etwas in seiner Familie, das ihn zum Rebell werden ließ. Sein Vater war ein Nazi, er starb, als Hartmut Wächtler noch ein Kind war. Er wuchs bei seiner Mutter und Großmutter auf. Schon zu Beginn seines Studiums in Berlin fühlte er sich von linken Studentengruppen angezogen und in München diskutierte er dann mit anderen Genossen die Nächte durch in der "Schwabinger Nachteule" in der Occamstraße.

Hartmut Wächtler auf die Rolle des Linkenanwalts zu reduzieren, würde ihm aber längst nicht mehr gerecht. Er ist viel breiter aufgestellt, schließlich sind seine Fachgebiete neben dem Allgemeinen Strafrecht und der Verteidigung der Bürgerrechte auch das Betäubungsmittelrecht und das Wirtschafts- und Umweltrecht. Er engagierte sich darüber hinaus 30 Jahre lang als Vorstandsmitglied in der Initiative Bayerischer Strafverteidiger. Manager, Zuhälter, Dealer gehen bei ihm ein und aus und ihm gefällt die Abwechslung. Es werde ihm nämlich "leicht langweilig", sagt der Mann mit der dichten weißen Mähne, die sein Markenzeichen geworden ist und ihm etwas Künstlerisches gibt. Bernie Ecclestone hätte er im Bestechungsverfahren rund um den Verkauf der Formel-1-Rechte zum Beispiel gerne verteidigt, "mit Genuss" hätte er den Fall übernommen, sagt Wächtler. Es gibt für ihn aber auch Grenzen, und die können durchaus politische sein: Beate Zschäpe etwa hätte er im NSU-Prozess nicht vor Gericht vertreten, da wäre niemals ein Vertrauensverhältnis zustande gekommen, sagt Wächtler.

Als Anwalt mag er hartnäckig sein, bis es beinahe arrogant wirkt, im Privaten ist er ein umgänglicher Mensch, wie er sich auch selbst charakterisiert. Er mag Filme und nutzt es aus, dass nur ein paar Schritte von seinem Büro das Kino Neues Rottmann sein Programm spielt. An den Wochenenden flüchtet er aufs Land, in einem kleinen Dorf in Niederbayern verbringt er die Tage dann bei seiner Frau auf einem Bauernhof mit Lesen. Das ist sein Kontrastprogramm zur lauten Stadt mit den vielen Protesten, Konflikten und Ungerechtigkeiten, die ihn seit Jahrzehnten beschäftigen. In seinem Dorf ist der Rhythmus ein ganz anderer, und er hatte trotz seiner völlig unbayerischen Art keine Probleme, dort anzukommen: "Mogst a Bier?", fragte ihn ein Einheimischer beim Maibaumaufstellen. Wächtler nahm den Krug und schob dann mit an, bis der Maibaum richtig stand. Das ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung: vom einstigen linken Terroristenanwalt zum niederbayerischen Gemütsmenschen.

© SZ vom 11.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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