Kahlschlag befürchtet:Nokia-Mitarbeiter pfeifen auf die Firmenstrategie

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Bis 2017 fallen in München 354 der derzeit 1474 Stellen weg. Damit ist der Standort überdurchschnittlich stark vom "Synergie- und Transformationsprogramm" des Konzerns betroffen. Etwa 700 Beschäftigte protestieren gegen den "schleichenden Tod" durch den Abbau

Von Tom Soyer

Mit Entsetzen und Zorn hat die Münchner Nokia-Belegschaft auf die Ankündigung eines unerwartet großen Stellenabbaus reagiert: Gut 1000 der knapp 4500 Arbeitsplätze will das finnische Unternehmen für Mobilfunknetze in Deutschland bis 2017 abbauen. Der Standort München ist mit dem Verlust von 354 der derzeit 1474 Stellen (minus 24 Prozent) überdurchschnittlich stark von diesem "Synergie- und Transformationsprogramm" betroffen. Gut 700 Mitarbeiter marschiertem deshalb am Mittwochvormittag nach einer Betriebsversammlung mit Trillerpfeifen vor dem Firmensitz in Ramersdorf auf und protestierten lautstark unter dem Motto "Zukunft statt Sozialplan" - gleichzeitig mit Kundgebungen an den anderen deutschen Standorten. "Wir sind sauer!", rief Betriebsrat Carsten Riedl ins Mikrofon, und ein gellendes Pfeifkonzert hob an.

Die Nokia-Belegschaft ist vor allem deshalb so empört, weil sie noch zu Zeiten von "Nokia-Siemens-Networks" im Jahr 2012 das finanzielle Aus am Standort durch einen dramatischen Stellenabbau vermeiden half. Nach Darstellung von Gewerkschafts- und Betriebsratsvertretern haben die Arbeitnehmer damals jene Opfer gebracht, auf deren Basis Nokia inzwischen im Netzwerk-Geschäft so gewinnträchtig geworden sei, dass Anfang 2016 einer der drei Haupt-Konkurrenten auf diesem Markt, Alcatel-Lucent, geschluckt werden konnte. Das sei über den Tausch von Aktienpaketen kostenneutral gegangen, so der Betriebsrat.

Gemeinsam bieten Nokia und Alcatel-Lucent nun unter dem Namen Nokia den Konkurrenten Ericsson und Huawei die Stirn, Nokia sei dabei schon jetzt profitabler als Ericsson. Wegen des nun angekündigten Aderlasses im Namen der Synergie machen sich in München starke Zweifel bei der Belegschaft breit, ob Nokia sich tatsächlich sinnvoll für diesen Wettbewerb aufstelle.

Durch das am Dienstag bekannt gewordene "Synergie- und Transformationsprogramm", im Zuge dessen auch in anderen europäischen Nokia-Niederlassungen Arbeitsplätzen gestrichen werden, sollen bis Ende 2018 insgesamt 900 Millionen Euro eingespart werden, heißt es aus der Geschäftsleitung. Allerdings seien die Abbauquoten ein Hinweis darauf, dass qualifizierte und teure Arbeitsplätze in billigere Regionen verlagert würden, kritisiert der Münchner Betriebsrat. In Deutschland, wo bis 2018 weitere knapp 400 Stellen an noch nicht definierten Orten abgebaut werden sollen, wird um 29 Prozent reduziert, in Spanien sind es 22 Prozent, in Finnland 19 Prozent, in Großbritannien 17 Prozent - in Griechenland hingegen nur 1,5 Prozent, in Rumänien 2 Prozent, in Polen 4 Prozent, in Ungarn und Portugal bleibt die Belegschaft unverändert. Das vom Gehaltsniveau her teure Frankreich taucht in der aktuellen Kürzungstabelle nur deshalb nicht auf, weil die Regierung für zwei Jahre ein Stillhalteabkommen mit Nokia schließen konnte.

Für Clemens Suerbaum, den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Nokia Deutschland, wie auch für Carsten Riedl ist das Vorgehen der finnischen Firmenführung unglaubwürdig. Nokia behaupte, der Stellenabbau sei nötig für Investitionen in die Zukunft, doch am Standort München würden nun die Entwicklungsabteilungen reduziert und in billigere europäische Regionen verlagert. "Google und Microsoft kommen nach München, um zu entwickeln, weil hier hoch qualifizierte Mitarbeiter sind", schimpfte Riedl bei der Kundgebung an der Werinherstraße, "und Nokia setzt genau diese Mitarbeiter auf die Straße - die lachen sich doch scheckig, wenn wir genau die Mitarbeiter rauswerfen, die die suchen!" Wenn es keine Entwicklungsabteilungen mehr gebe in München - etwa für Zukunftsthemen wie autonomes Fahren, Internet of Things und mobilen Zugang zu Daten-Clouds -, "dann ist das der schleichende Tod für unseren Standort", so Riedl.

Martin Kimmich, Nokia-Betreuer der IG Metall, erhielt begeisterten Applaus, als er daran anknüpfte und rief: "New Nokia soll das sein? Das ist Old Nokia, Old Siemens, Steinzeit! Was die mit uns machen, ist Kahlschlag, nichts anderes!"Hier gebe es doch "die besten Rahmenbedingungen für Netzwerktechnologie", also für eine digitale Schlüsseltechnologie. "Und die soll in München keinen Platz mehr haben?"

Wegen der weitreichenden Bedeutung für München habe es bereits Gespräche mit Landtagsabgeordneten gegeben, so der IG-Metall-Vertreter, und vielleicht gebe es auch bald ein Gespräch mit Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) dazu. Denn: "Die Zukunft dieses Standorts steht real auf dem Spiel."

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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