Justizvollzugsanstalt Stadelheim:Tod in der Zelle

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In der JVA Stadelheim hat sich ein 16-Jähriger das Leben genommen - es ist der erste Suizid in der JVA. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein 16-Jähriger hat sich in der JVA Stadelheim das Leben genommen. Kurz zuvor hatte ihn ein Arzt als unauffällig und arrestfähig eingestuft. Der Suizid steht möglicherweise im Zusammenhang mit dem Unfall eines Mitinsassen.

Von Christian Rost

In der Jugendarrestanstalt Stadelheim hat sich ein 16-Jähriger unter mysteriösen Umständen das Leben genommen. Er fühlte sich möglicherweise mitschuldig am Unfall eines Mitinsassen, der einen schweren Stromschlag erlitten und das Bewusstsein verloren hatte. Einen Tag später wurde der 16-Jährige tot in einer Arrestzelle gefunden. Ein Arzt hatte ihn zuvor noch als "unauffällig" eingestuft. Die Staatsanwaltschaft München I prüft den Fall.

Es ist der erste Suizid überhaupt in der Jugendarrestanstalt an der Schwarzenbergstraße, in der Jugendliche einen Freiheitsentzug von maximal vier Wochen absitzen. Der 16-Jährige musste Mitte Januar zu einer dreiwöchigen Arreststrafe antreten, die am 2. Februar geendet hätte. Er war im Dezember wegen eines Diebstahls und Körperverletzung verurteilt worden und nicht zum ersten Mal in der Einrichtung.

Zur Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen war ihm ein Medikament verordnet worden. Das Ritalin nahm er aber nicht ein, weswegen er von einem Pfleger am 24. Januar in die Krankenabteilung der benachbarten JVA Stadelheim gebracht wurde. Wie das Justizministerium bestätigte, blieb der Jugendliche dort über Nacht und verhielt sich laut einem Arzt "unauffällig". Am nächsten Vormittag wurde der junge Mann um 11.15 Uhr zurück in den Arrest gebracht - auf seiner Bescheinigung stand: "arrestfähig". Gegen 15 Uhr fanden ihn Mitarbeiter der Einrichtung leblos in der Zelle. Er hatte sich mit Schuhbändern an einem Scharnier der Zellentür erhängt. Die Kriminalpolizei ermittelt in dem Fall.

Anordnung "vergessen"

Weshalb sich der Jugendliche das Leben genommen hat, konnte bislang nicht geklärt werden. In einem Abschiedsbrief, den man in seiner Zelle fand, richtete er Grüße an Freunde und seine Familie aus. Über Ängste, Probleme, Nöte oder Selbstzweifel schrieb er nichts. In seinem sogenannten Knasttagebuch hatte er sich vielmehr zuletzt noch zuversichtlich gezeigt: Er wolle den Schulabschluss nachholen.

Um die Umstände des Todes zu klären, hat die Staatsanwaltschaft Berichte vom für den Jugendarrest zuständigen Vollzugsleiter sowie von der Leitung der JVA Stadelheim angefordert, wie Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch sagte. Möglicherweise spielt in dem Fall eine Rolle, dass sich der Jugendliche schuldig fühlte, weil sich ein Mitinsasse verletzt hatte. Dieser wollte in seiner Zelle Wasser erhitzen und schloss deshalb mit einer Gabel eine Steckdose kurz. Infolge eines Stromschlags wurde er bewusstlos und kam in die Krankenabteilung der JVA. Von dort wurde er zwischenzeitlich entlassen und bislang nicht vernommen. Der Verdacht, dass der 16-Jährige dem Mitinsassen auch Ritalin überlassen hatte, bestätigte sich nicht.

Die Nachricht vom Tod des 16-Jährigen traf Mitarbeiter und Insassen der Arrestanstalt schwer. Ein Kriseninterventionsteam wurde angefordert. In einem anonymen Schreiben, das auch der Staatsanwaltschaft vorliegt, erhebt offensichtlich ein Justizvollzugsbeamter schwere Vorwürfe gegen die Einrichtung. Demnach sollte der Jugendliche nach seinem Aufenthalt in der Krankenstation nicht mehr alleine untergebracht werden. Diese Anordnung des Arztes sei aber "vergessen" worden.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbsttötungen zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

© SZ vom 12.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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