Jugendgewalt:Ein Psychologe für tausend Schüler

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An Gymnasien, Real- oder Berufsschulen fehlen qualifizierte Pädagogen. Kritik kommt auch von den Gewerkschaften.

Leon Scherfig

Nach dem gewaltsamen Tod Dominik Brunners am S-Bahnhof in Solln und dem Amoklauf in Ansbach fordern Lehrer- und Philologenverband sowie Polizeigewerkschaft unisono mehr Psychologen und Betreuungsangebote an Schulen.

Auch in München fehlt qualifiziertes Personal, wie eine Statistik des Schulreferats offenbart. An Gymnasien betreut rechnerisch ein Psychologe mehr als 3000 Schüler, an Berufsschulen liegt das Verhältnis gar bei 1 zu 40000. "Es gibt bislang beschämend wenig Anlaufstellen und Ansprechpartner für Heranwachsende", kritisiert Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV).

Jede schreckliche Tat, die an Schulen begangen wurde, habe eine Flut von Vorschlägen und Verbesserungen zur Sicherheit ausgelöst - "spürbare Veränderungen haben aber nicht stattgefunden", konstatiert Wenzel. Der BLLV-Präsident fordert die Staatsregierung dazu auf, mehr Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter einzustellen. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Harald Schneider, stößt ins gleiche Horn: "Nichts, aber auch gar nichts hat die Politik aus den Vorfällen in den U- und S-Bahnen in der Vergangenheit gelernt." Man müsse, fordert er, die Präventionsarbeit in den Schulen stärken.

Tatsächlich ist das psychologische Angebot an den Münchner Schulen immer noch mager. Die aktuelle Bestandsaufnahme des Schulreferats legt einen eklatanten Beratungsmangel an Berufsschulen offen: Dort sind sechs Psychologen für 80 Schulen zuständig. Am weitesten ausgebaut ist die psychologische Betreuung an Realschulen (ein Schulpsychologe auf 1379 Schüler), an den Gymnasien beträgt das Verhältnis indes 1 zu 3153. Zu wenig, findet der BLLV-Präsident Wenzel.

Auch Max Schmidt, der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbandes, fordert "eine deutliche Ausweitung der schulpsychologischen Beratungskapazitäten". Er diagnostiziert: "Wir haben ein Kapazitätsproblem."

"Wir müssen präventiv handeln" Doch nach wie vor sind sich Politik und Pädagogen uneins darüber, was die richtige Strategie ist, um Gewalttaten an Schulen vorzubeugen. Härtere Strafen, kritisiert die Gewerkschaft der Polizei in einer Pressemitteilung, sei nur ein Reflex der Politik, "um von der Untätigkeit der Vergangenheit abzulenken". Die Polizei sei nicht mit noch so vielen Polizisten und Überwachungskameras in der Lage, "an jedem Bahnhof der Republik gesellschaftliche Probleme zu lösen".

Dabei sind sich die meisten Pädagogen darüber einig, dass es mehr Beratungsangebote geben müsse. Im Schulreferat kümmert sich eine "zuständige Personalabteilung" darum, dass "das Kontingent an Schulpsychologen" aufgestockt werde, sagt die Pressesprecherin Eva-Maria Volland. So wolle man das Angebot "etwas erweitern". Wann das aber passiert, könne man derzeit noch nicht sagen. Das Problem sei schlichtweg, dass es an qualifiziertem Fachpersonal mangele, also Psychologen, die gleichzeitig als Pädagogen ausgebildet sind.

"Wir müssen präventiv handeln, sofort", fordert BLLV-Präsident Wenzel. "In Ansbach hat sich erneut gezeigt, dass die Taten an Schulen nicht spontan ausgeübt werden, sondern von langer Hand geplant sind." Schulinterne Hilfe und mehr psychologische Betreuung, sagt Wenzel, hätten die Tat vielleicht verhindern können. Auf die Frage nach der Finanzierung des pädagogischen Personals stellt er die Gegenfrage: "Im Blick sollten wir haben: Wie viel kostet die Nachsorge, also die Resozialisierung derjenigen Jugendlichen, die absteigen, weil es eben keine Prävention gegeben hat?"

Zu wenig Personal, zu viele Schüler: Dass es ein deutliches Missverhältnis gibt , sagt auch Hans-Jürgen Tölle. Als von der Stadt beauftragter Schulpsychologe für berufliche Schulen greift er dort ein, wo es brenzlig wird. Besorgte Eltern und Lehrer wenden sich an ihn. "In letzter Zeit ist das Bedürfnis an Beratung stark gestiegen", sagt der Psychologe. "Wir müssen schneller intervenieren, vor allem müssen wir aber die interdisziplinäre Zusammenarbeit ausbauen."

Jugendämter, Sozialbürgerhäuser, Schulen - das Netz zwischen den Einrichtungen müsse enger geknüpft werden. "Ich habe gerade einen Schüler in Behandlung, der sich in einer psychosomatischen Klinik befindet. Aber was passiert, wenn er rauskommt? In der Schule fehlt das Betreuungspersonal, das nötig wäre, um ihn wieder einzugliedern." Man sei schlichtweg überfordert.

© SZ vom 25.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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