Jubiläum:Das Tor zur Münchner Welt

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Die Frauenklinik an der Maistraße wird 100 Jahre alt, und fast die halbe Stadt scheint hier geboren worden zu sein. Das stimmt zwar nicht. Aber die prachtvolle Architektur und die lange Tradition machen das Haus zu einem echten Schmuckstück

Von Bernhard Hiergeist

Wenn man überlegen müsste, wo wohl das Münchner Kindl selbst geboren wurde - es müsste die Frauenklinik in der Maistraße gewesen sein. Diesen Eindruck bekommt zumindest, wer gebürtige Münchner fragt: Gefühlt kam mindestens die halbe Stadt in dem berühmten Gebäudekomplex zwischen Sendlinger Tor und Goetheplatz zur Welt. Im Park im Innenhof bekommt man nichts mit vom Lärm der Lindwurmstraße. Es herrscht eine klostergartenhafte Ruhe. Hier kommen sie also alle her, denkt man, die gelassenen Münchnerinnen und Münchner.

Im Dezember wird das Haus, das zum Universitätsklinikum gehört, 100 Jahre alt. Und anlässlich dieses Festtags muss Klinikchef Sven Mahner diesen Mythos leider entkräften. 2000 Geburten gebe es ungefähr jedes Jahr, sagt er. Macht in 100 Jahren also rund 200 000 Kinder. Nicht ganz München ist also in der Maistraße geboren, sondern nur ein paar Stadtviertel zusammen. Immerhin.

Rainer Kürzl hat eine Ahnung davon, warum die Klinik in der Wahrnehmung der Stadt so eine bedeutende Rolle spielt. "Mit Geburten sind immer positive Gefühle verbunden", sagt er. "Darum erzählt man so gern davon." Der 69 Jahre alte Künzl ist Leiter des Vorbereitungskomitees für das 100-jährige Jubiläum. Dieses hat eine Ausstellung konzipiert, als Hinführung zur Feier am 18. Dezember, zu der sogar Kardinal Reinhard Marx zum Gottesdienst erwartet wird.

Kürzl ist die perfekte Besetzung für diese Aufgabe. Kaum jemand kennt die Winkel des Hauses so gut wie er. Fast 30 Jahre arbeitete der Gynäkologe im Haus, zuletzt als leitender Oberarzt. 2014 ging er in den Ruhestand. "Ich gehöre ja praktisch zum Inventar", sagt er. Einziger Makel: Kürzl selbst wurde in der Frauenklinik in der Taxisstraße geboren.

Dreieinhalb Jahre hat die Vorbereitung der Ausstellung gedauert. Auf Infotafeln gibt es historische Fotografien zu sehen. Manche davon lagen in städtischen Archiven vergraben und waren schwer aufzutreiben. Beim Rest fiel das leichter, das Haus selbst ist ja per se schon ein Ausstellungssaal: Da gibt es die historische Bibliothek, Klinikkirche und -kapelle, Laubengänge, allerlei Wandreliefs, Statuen, Büsten. Und den steilen Hörsaal, in dem früher live geboren wurde, oder wie Kürzl sagt: "ad oculos der Studenten". Auf den Klappsitzen drängten sich die dann wie in einem antiken Amphitheater. Eine unterirdische Leitung verband den Saal mit dem Brunnen im Innenhof, das diente der Kühlung. "Auch damals hat man schon mit Hirn gebaut", stellt Kürzl dazu fest.

Anfang des 20. Jahrhunderts baute man die Klinik auf dem Gelände eines aufgelassenen Gaswerks. Zuvor mussten noch sechs gewaltige Kesselfundamente weggesprengt werden. Dann wurde das Gebäude innerhalb von nur drei Jahren hochgezogen, das zu Beginn vor allem als Hilfsangebot für ledige, mittellose Mütter gedacht war. 1916 konnte die Frauenklinik in die Maistraße umziehen: Dort eröffnete offiziell die "Königliche Universitätsfrauenklinik und Hebammenschule". In der Architektur vereinen sich Klassizismus, Spätbarock und Jugendstil. "Ein mixtum compositum, der ganze Bau", sagt Kürzl.

Und voller Geschichten und kurioser Funde, von denen gar nicht alle auf den Ausstellungstafeln Platz haben. Zum Beispiel die über die Barmherzige Schwester Leodegard, die im Großen Hörsaal bei Vorlesungen assistierte. 85 Semester lang. Oder über den ersten Klinikdirektor, Professor Albert Döderlein. Der besaß schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs ein Auto, hatte allerdings noch Probleme mit dem Ausparken. Also ließ sich Döderlein eine große Holzscheibe installieren. Über einen Mechanismus ließ sich diese dann drehen, samt Fahrzeug. So konnte der Professor vorwärts wieder herausfahren.

Aus dem Fundus Döderleins stammt auch der Höhepunkt der Ausstellung, das "Geburtshilfliche Instrumentarium von Geheimrat Albert Döderlein". Was nach einem Stummfilm aus den zwanziger Jahren klingt, ist tatsächlich nur Geburtsbesteck. In einer Vitrine sind Zangen, Spreizer und Scheren in den verschiedensten Größen aufgereiht, alles weit mehr als 100 Jahre alt. Man kann sich gut vorstellen, wie Döderlein mit dem mit Segeltuch bespannten Köfferchen bei Blitz und Donner in die Königsschlösser fuhr und dem Adel beim Gebären half.

Man kann das rückständig finden und beim Anblick des Instrumentariums an Klempnerwerkzeuge denken. Angebracht ist das aber nicht. Heute werde im Großen und Ganzen immer noch mit denselben Werkzeugen und Materialien gearbeitet, erklärt Gynäkologe Kürzl. "Die Werkzeuge haben sich halt ein bisschen verfeinert", sagt er. Und, na gut, man nähe heute keine Wunden mehr mit Katzendarm zu, das schon. Und die Chemikalien von damals, "da wird es dann wirklich historisch", meint er. "Aber im Grunde funktioniert die Geburtshilfe heute noch genauso wie damals."

Irgendwann in den kommenden Jahren soll die Frauenklinik umziehen, auf die andere Seite der Lindwurmstraße in die Ziemssenstraße. Geburten sollen nicht mehr allein als gynäkologisches Thema behandelt werden, sondern mehr als ganzheitliches. In der Maistraße lässt sich das nicht mehr verwirklichen. Und wer die Säulen, Kronleuchter und handgemalten Schilder an den Türen sieht, versteht vielleicht ein bisschen warum.

Was dann mit dem Gebäude passiert, ist noch ungewiss. Es steht ohnehin unter Denkmalschutz, darf nicht abgerissen werden. Die Universität selbst hält sich noch bedeckt. Denkbar ist, dass das Haus dann gänzlich für die Lehre und zum Lernen für die Studenten genutzt wird. Der Geburtsmythos würde dann natürlich etwas verblassen, aber das Haus würde andere, neue Geschichten erleben. Genügend Winkel, die mit Anekdoten und verklärten Erinnerung gefüllt werden wollen, gibt es ja.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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