Investitionspaket:Druck auf der Schiene

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Nahverkehrspläne der Staatsregierung werden hinterfragt

Von Christian Krügel, Lisa Schnell

So entspannt und glücklich war Alexander Freitag wohl selten. Das lag ein wenig an dem lauen Wind, der ihm vom Ammersee her ins Gesicht wehte. Viel mehr noch aber an einer ganz anderen Brise, die der MVV-Geschäftsführer gerade spürt: "So viel Aufwind für den öffentlichen Personennahverkehr wie derzeit gab es nie", sagte Freitag. Der MVV-Chef hatte die neue MS Utting als Ort seiner sommerlichen Bilanz-Pressekonferenz gewählt, fast noch glücklicher als die Wahl der Location aber war die des Termins: 24 Stunden zuvor hatte die Staatsregierung ein fast 400 Millionen Euro schweres Investitionspaket zum Ausbau des Nahverkehrs verkündet. Das meiste Geld soll in den Ballungsraum München, also in Freitags MVV-Bereich fließen.

Aber nicht nur das macht den Geschäftsführer derzeit zum glücklichen Menschen. Seehofers neue Liebe für Busse und Bahnen ist auch eine späte Genugtuung für Freitag, der Ende des kommenden Jahres in Ruhestand gehen wird. Denn nahezu alles, was nun hurtig umgesetzt werden soll, um die Schadstoffbelastung im München zu reduzieren, hatte der MVV-Chef seit Jahrzehnten gefordert - bisher vergebens: mehr Geld für neue Busse und Bahnen, für den Schienenausbau, für Park-and-ride- und Fahrradstellplätze, und, und, und. "Es passiert spät, aber es ist gut, dass es passiert", sagte Freitag.

Je näher die Experten der Verkehrsgesellschaften und der Bahn sich mit Seehofers Wunderpaket befassen, desto mehr wird freilich auch klar, dass dessen Umsetzung zäh und schwierig werden wird. Mehr Werbung und ein Gratismonat für neue MVV-Dauerkunden lassen sich noch leicht umsetzen - hier muss nur Geld überwiesen werden. Weit schwieriger ist die Frage zu lösen, wo denn all die neuen MVV-Kunden hin sollen, die die Staatsregierung zum Aussteigen aus ihrem alten Diesel bewegen möchte. Alexander Freitag verkündete auf dem Ammersee erneut Rekorde: Mit 67,7 Millionen Fahrkarten wurden 8,6 Prozent mehr Tickets verkauft, die Einnahmen daraus liegen inzwischen bei 872 Millionen Euro. Doch mittlerweile seien insbesondere S- und U-Bahnen so ausgelastet, dass kaum noch Platz für neue Passagiere sei. Selbst wenn die S-Bahn-Züge nun so umgebaut würden, dass mehr Kapazitäten entstehen: Das derzeitige Verkehrssystem sei überhaupt nicht in der Lage, so viele zusätzliche Pendler aufzunehmen, dass sich das Diesel-Problem nicht mehr stelle.

So warten Freitag wie auch die Bahn selbst mit Spannung auf das nächste Überraschungspaket der Staatsregierung, das Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) dem Vernehmen nach Anfang August präsentieren wird: das Drei-Stufen-Programm zum Ausbau der S-Bahn. Für erste Entwürfe gab es heftige Kritik, auch aus der CSU. Denn demnach würde vor der Fertigstellung der zweiten Stammstrecke 2026 nicht recht viel mehr im S-Bahnnetz verbessert werden. Prompt musste sich Herrmann am Donnerstag im Landtag erneut den Vorwurf der Opposition gefallen lassen, die 3,8 Milliarden Euro für den zweiten Tunnel durch München ließen gar keine weiteren Investitionen zu. "Sie werden damit natürlich andere Verkehrsprojekte beschneiden müssen", sagte Thorsten Glauber (Freie Wähler). Grünen-Verkehrsexperte Markus Ganserer warnte Herrmann vor weiteren Vertröstungen von Pendlern, die schon seit Jahrzehnten auf Verbesserungen warten. Florian von Brunn (SPD) forderte ein großes Investitionsprogramm für die Schiene in Bayern - das aber ausgerechnet ein Bundesverkehrsminister aus der CSU nicht hinbekomme.

Verkehrsminister Herrmann kündigte umfassende Informationen zu Bahn- und Finanzierungsplänen an ("Wir werden alle Fragen beantworten") und reagierte unwirsch auf den Vorwurf, die Stammstrecke verschlinge alle Mittel ("unglaublich, was da für Zeug erzählt wird"). Er machte allerdings auch deutlich, dass der Freistaat sich wohl selbst helfen müsse, wenn Zusagen und Unterstützung aus Berlin nicht kämen. Die CSU werde sich zwar dafür einsetzen, dass in Zukunft mehr Geld eingestellt werde. Aber unabhängig davon gebe es die klare Zusage der Staatsregierung: Jedes andere Bahnprojekt werde trotz des Münchner S-Bahn-Tunnels auch finanziert. Und das bedeute: Wenn der Bund die Mittel dafür nicht gebe, müsse es eben Bayern tun.

Bei den Verkehrsunternehmen und Alexander Freitag ist deshalb die Erwartungshaltung an Herrmanns Masterplan groß. Dieser Plan dürfe ruhig noch ein wenig ambitionierter ausfallen, als das die ersten Entwürfe ahnen ließen, heißt es überall. Allein: Joachim Herrmann habe es eben auch schwerer als sein Chef Seehofer. Eine neue S-Bahn-Linie zu versprechen, ist diffiziler, als ein paar Kilometern Tram durch den Englischen Garten zuzustimmen.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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