Integration im Museum:Spiel des Lebens

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Miro Craemer und Bernhart Schwenk gehen neue Wege in der Kunstvermittlung. Mit einem Programm aus Mode, Kunst und Tanz holen sie Migranten in die Pinakothek der Moderne. Es ist mehr als eine Werbe-Aktion. Vielmehr sollen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen voneinander lernen

Von Martina Scherf

Togetthere haben sie das Projekt genannt. To get there, ankommen. Gemeinsam. In der Kunst, im Leben. 40 Menschen aus verschiedenen Nationen, Migranten und Münchner, jung, alt, vom Teenager bis zum Rentner, sitzen deshalb an diesem Nachmittag an großen Tischen in der Pinakothek der Moderne und basteln mit Filz.

Mittendrin: Modedesigner Miro Craemer und der Kurator für Gegenwartskunst, Bernhart Schwenk. Das Paar hat schon öfter Kunst und Mode zu einem spannenden Dialog verknüpft. Jetzt beschreiten die beiden einen neuen Weg der Kunstvermittlung, und sie wollen selbst spüren, wie das ankommt und wohin das führt. Deshalb sind sie zwölf Wochen lang jeden Mittwochnachmittag dabei.

Schon beim dritten Mal herrscht große Vertrautheit. Die Teilnehmer kommen aus Nigeria, Kongo, Syrien, aus Otterfing und Pasing, und sie reden sich alle mit Vornamen an - egal, wie alt sie sind. Die haben sie mit dickem Filzer auf die Rücken ihrer weißen Overalls geschrieben, die sie jetzt anziehen. "Endurance", "Innocence" - was für Namen: "Ausdauer", "Unschuld". Die so Gerufenen, zwei stattliche junge Männer aus Nigeria, kommen mit breitem Grinsen angetrabt, schnappen sich ihre Overalls und schlüpfen hinein.

Die Einheitskleidung soll die Zusammengehörigkeit stärken, die ist aber ohnehin schnell zu spüren. Die Gruppe agiert so selbstverständlich wie eine Schulklasse, die seit Jahren gemeinsam lernt. Sie lachen zusammen, haken sich unter, fassen sich an den Händen. Sprache spielt kaum eine Rolle, trotzdem lässt der 14-jährige Aaron aus Ampfing keine Gelegenheit aus, seinen nigerianischen Freunden Vokabeln beizubringen: Stuhl, Schere, Klebeband.

Togetthere ist ein langfristig angelegtes Projekt, unterstützt von der Stiftung Pinakothek der Moderne, um Migranten ins Museum zu holen. Es geht dabei nicht um eine Goodwill-Aktion. Vielmehr sollen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen voneinander lernen. Spielerisch, ganz im Sinne von Schillers homo ludens: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Miro Craemer und Bernhart Schwenk haben schon im vergangenen Jahr ein ähnliches Projekt lanciert: den Walking Act mit Flüchtlingen im Kunstareal. Kleider wurden entworfen und geschneidert und als öffentliche Performance vorgeführt. Der jetzige Workshop, oder, frei nach Warhol: die Factory, ist ein weit größeres Unterfangen. Zusammen mit der Choreografin Klaudia Schmidt und dem Musiker Christofer Varner hat Craemer ein Programm aus Kunst, Mode, Tanz und Musik entwickelt, das an jedem Nachmittag von einem Werk der Sammlung ausgeht. Diesmal führt Kurator Bernhart Schwenk die Gruppe in den ersten Stock des Museums und erklärt, was Beuys mit seinem Schlitten ausdrücken wollte, der dort ausgestellt ist. Beuys, der spätere Aktionskünstler und Humanist, hatte sich 1941 freiwillig zur Luftwaffe gemeldet und war drei Jahre später über der Krim abgestürzt. Tataren hätten ihn gerettet und gepflegt, erzählte er später. Die Flüchtlinge hören dieser Geschichte aufmerksam zu. Dann geht es zurück in den Aktionsraum.

Die spontane Modenschau findet großen Beifall. (Foto: Catherina Hess)

Sie sind Bäcker, Schneider oder Hip-Hopper, sie haben ein Leben hinter sich gelassen und versuchen, in einem neuen Leben anzukommen. Etwas gestalten zu dürfen, hilft ihnen dabei. Die Deutschen in der Gruppe sind Kunstinteressierte und Leute, die gerne Neuem begegnen. Deshalb sind sie hier. 20 Minuten haben sie jetzt Zeit, jeweils zu fünft aus Filzstücken eine Tasche zu schneidern. Blessing aus Nigeria hat schon ein Design im Kopf. "I am a fashion designer", sagt sie und sticht beherzt Löcher in den Stoff. Heidi und Katharina aus ihrem Team assistieren. Nach 20 Minuten werden die Ergebnisse in einer kleinen Modenschau präsentiert.

"Toll", sagt Miro Craemer, "da waren Stücke dabei, die hätte ich gleich in mein Museumsprojekt integrieren können." Im Neuen Museum Nürnberg läuft gerade die Ausstellung "Wetransform" zu den Grenzen des Wachstums, da hat er einige Upcycling-Mode-Stücke beigetragen. 47 Jahre ist er alt, seit zehn Jahren hat er sein eigenes Label mit Showroom in der Münchner Maximilianstraße. Der Designer liebt solche kreativen Grenzgänge. "Mode ist für mich mehr als eine Frage der Ästhetik", sagt er, "sie ist eine Interaktion, sie hilft uns, uns selbst zu verstehen und bringt uns anderen Kulturen näher." In diesem temporären Multi-Kulti-Modestudio ist er jedenfalls in seinem Element.

Bernhart Schwenk nickt zustimmend. Schwenk, der Kunsthistoriker und Geistesmensch, Leiter der Abteilung Gegenwartskunst in den Staatsgemäldesammlungen, muss sich erst noch an das turbulente Treiben in seinem Ehrfurcht gebietenden Haus gewöhnen. Doch auch er ist sichtlich überrascht, wie viel kreatives Potenzial hier plötzlich zutage tritt. Ihm geht es darum, neue Zielgruppen zu gewinnen, die Pinakotheken sind nicht die einzigen Museen, die solche Wege beschreiten. Die Gesellschaft wird bunter, und das Verständnis von Kunst wandelt sich, sagt Schwenk, weg vom andächtigen Schauen, hin zum Dialog.

"Es geht bei dieser Aktion nicht darum, abzufragen: Was haben wir heute gelernt? Sondern zu sehen: Was schaffen wir gemeinsam?", wirft Craemer ein, er liebt es, Menschen zu verbinden - und wird dann gleich noch ein wenig philosophisch: "Ich glaube, wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir nur zwei Möglichkeiten haben: Entweder mit Kriegen und Unterdrückung den ungerechten Zustand der Welt noch länger hinauszuziehen und dabei jede Freude zu verlieren. Oder endlich zu verstehen, dass wir anfangen sollten zu teilen."

Bernhart Schwenk (links) und Miro Craemer basteln begeistert mit. Sie wollen selbst spüren, wie dieses Zusammenwachsen funktioniert. (Foto: Catherina Hess)

Geteilt werden hier erst einmal die ähnlichen Empfindungen. Es geht nicht ums Belehren, sondern ums Zusammenwachsen, ganz praktisch. Andererseits ist das Projekt allein schon ein Beispiel dafür, was Demokratie und Kunst in einem freien Land bewirken: Hier darf gelacht und gealbert werden, auch über Koryphäen der Kunstgeschichte. Das gilt in den meisten Ländern der Welt als Majestätsbeleidigung, mancherorts landet man dafür im Gefängnis. "Very interesting", sagt Endurance denn auch und wirkt nachdenklich. Ein älterer Mann aus Fürstenfeldbruck, auf dessen Rücken Andreas steht, ist gespannt: "Ich bin neugierig, wohin mich das noch führt." Jetzt geht es zu einer Übung in Ausdruckstanz. Gefühle sollen sie tanzen. Hoffnung, Schmerz, Freude, Angst. Miro Craemer, mittendrin, im unförmigen Overall, streckt und krümmt sich wie alle anderen. Erkenntnis: Freude macht groß, laut und stark, Angst macht klein und sprachlos. Herkunft spielt da keine Rolle.

Nach Beuys geht es beim nächsten Mal zu einem Bild von Oskar Schlemmer: "Die Geste" (1922/23). Es zeigt eine Tänzerin auf der Bühne, wie ein Puppe erstarrt in ausladender Pose. Bernhart Schwenk ist wieder dran, erklärt, wer Schlemmer war, dass er von den Nazis verfolgt wurde, dass sein Triadisches Ballett noch heute auf Theaterbühnen aufgeführt wird. Im Aktionsraum wird die Pose der Tänzerin nachgestellt, alle sind voll konzentriert. Laute sollen sie jetzt ausstoßen und die anderen sich dazu bewegen, staccato oder legato. Das Gefühl für den eigenen Körper spüren. Die einen machen das ein bisschen scheu, die anderen expressiv. Und was haben die Macher dabei gelernt? "Hemmungen abbauen", entfährt es Bernhart Schwenk spontan. "Aber es ist auch ein Riesenspaß. Wir greifen da auf Kindheitserfahrungen zurück, die wir verloren haben - und mit ihnen viel Spontaneität." Die hilft aber im Umgang mit Fremdem.

Und dann gibt es noch eine spontane Literaturperformance an diesem Tag. Aus gebastelten Papierfiguren entwickeln die Gruppen kleine Geschichten. "Oskar Schlemmer wacht eines Morgens in einem afrikanischen Schlafzimmer auf, trifft eine Gruppe beim Hochzeitstanz, sieht die Sterne, steigt in ein Flugzeug und fliegt davon", heißt eine. Die andere deutsch-syrisch-nigerianische Gruppe hat die wilde Verfolgungsjagd eines Seelöwen erfunden. Und dann steht einer auf und rappt die Story, lautstark unterstützt von seiner Gruppe. Applaus brandet auf. Craemer und Schwenk genießen den Augenblick. Sie haben noch einiges vor im Dialog zwischen Kunst und Mode.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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