Innenansicht:Hinterm Zaun muss die Isar sein

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Ein Blick in die Zukunft zeigt: Was München gerade mit dem Streit um den Strand erlebt, ist bestimmt nur der Auftakt viel größerer Verwerfungen

Von Thomas Anlauf

Niemand weiß heute mehr genau, wie das alles einst begann. Die Ursprünge des berüchtigten Strandkrieges liegen längst im Dunkeln der Geschichte. Nur das Ergebnis sehen wir nun, im Jahr 2020, vor uns liegen - oder besser: Wir sehen nicht viel, denn überall stehen Verbotsschilder vor Stacheldraht und Bauzäunen. Am leisen Rauschen und Glucksen ist zu erahnen, was dahinter verborgen ist. Die Isar.

Es muss einmal eine Zeit gegeben haben, als an der Isar in München ein fröhliches Treiben herrschte. Vergilbte Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigen Menschenmassen, die in lustigen Badeanzügen im Fluss planschen und auf Kiesbänken und in den umliegenden Vergnügungslokalen ausgelassen feiern. Später geriet der Fluss eine Weile in Vergessenheit und man verbot sogar das Baden, bis jemand auf die Idee kam, die Isar für die Menschen schöner zu gestalten. Das gefiel den Münchnern gut und sie entdeckten die Ufer aufs Neue. Auch ein paar Strandkrieger mit dem nach Wildheit und Abenteuer klingenden Namen Urbanauten freuten sich und feierten mit vielen Freunden den rauschenden Fluss. Doch ein paar Leuten in dem großen Schloss am Marienplatz gefiel das gar nicht. Und sie ersonnen Auflagen und Ausschreibungen, auf dass den Kulturstrandpiraten ein bisschen der Spaß vergehe. Eines Tages wehrten sich die Urbanautenkrieger und gewannen. Zwar nicht den Krieg, aber doch eine Schlacht vor Gericht.

Als nun, und das ist in den Annalen verbürgt, am 2. Juno 2016 die Urbanauten aller Welt (oder zumindest ein paar Lokaljournalisten) ihren weiteren Schlachtplan für den Kampf um den Kulturstrand am Vater-Rhein-Brunnen erklären wollten, schlug das Imperium mit juristischen Keulen zurück. Eine Versammlung, dozierte die Münchner Ordnungsmacht, dürfe es dort nicht geben. Denn der Brunnen liege in der freistaatlichen Bannmeile des bayerischen Landtags. Und eine Pressekonferenz in dieser Grünanlage sei ohnehin tabu, das verbiete natürlich die Münchner Grünanlagensatzung. Die besagte klar, dass der kleine Park auf der Museumsinsel für alle da ist und nicht für ein paar wenige. Und das stimmte ja, denn auch der Kulturstrand, der dort in diesem Jahr stattfinden sollte, wäre für alle da gewesen. Oder doch für gar keinen, weil irgendwann niemand mehr wusste, wer dort eigentlich was machen darf. Und so verschwanden eines Tages die kleine Grünanlage und die große Isar hinter Stacheldraht und Verbotsschildern. In dem berüchtigten Münchner Strandkrieg hatte die Ordnung gesiegt.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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