Humanitäre Hilfe:Ärmel hochkrempeln für die Armen

Lesezeit: 4 min

Konstantinos Papadakis versorgt Sozialkliniken in Griechenland mit medizinischen Geräten und Material

Von Alex Rühle

Ein Porträt? Von mir? Aber ich bin nicht wichtig. Um mich geht es nicht." Konstantinos Papadakis sitzt in seinem Lokal, dem Preysinggarten in Haidhausen. Wie immer trägt er ein frisch gebügeltes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Wie immer strahlt er einen aus seinen Augen an, dass man denkt, er habe gerade in der Isar gebadet oder komme gar direkt von einem Strand in Griechenland hier reingeschlendert. Wobei das ein schlechtes Bild ist, die Griechenlandreisen, die Papadakis unternimmt, sind mittlerweile eher strapaziös und gehen an die Nieren.

Gerade war er wieder unten in Athen und hat ein paar der sozialen Praxen besucht, die er von München aus auszustatten versucht. Mit Ultraschallgeräten. Mit einem gynäkologischen Stuhl. Mit einem EKG-Gerät. "Ach, mit allem", sagt Papadakis. "Die Armut ist ja mittlerweile überall."

Das stimmt. Die Armut kriecht in Griechenland mittlerweile in jede Ritze. Sogar in Zahnzwischenräume dringt sie ein. Ja, man kann sagen, die Armut setzt sich in den Mündern fest wie ein bakterieller Belag. Fast alle Kinder haben Karies, viele Erwachsene ziehen sich Zähne selber, schließlich werden Zahnarztbesuche kaum noch von der Kasse bezahlt. Dazu kommt, dass die Menschen sich viel ungesünder ernähren als früher: Der Anteil an zucker- oder süßstoffhaltigen Nahrungsmitteln und Junkfood wie Chips ist seit Ausbruch der Krise stark gestiegen, gesunde Lebensmittel wie Fleisch, Gemüse und Fisch werden hingegen viel seltener gegessen als früher. Für Menschen aber, die sich nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel leisten können, werden Dinge wie Mundspüllösungen, Zahnseide und Zahnpasta zu unerschwinglichen Luxusartikeln.

Konstantinos Papadakis ist de Besitzer des Preysinggarten in Haidhausen und versorgt Klinken in Griechenland mit medizinischen Geräten. (Foto: Robert Haas)

Papadakis sitzt an einem der kleinen Holztische in seinem Lokal, ringsum wird vollwertfeinstes Essen aufgetragen, er selbst vergisst, sich in der Stunde, die das Interview dauert, auch nur ein Glas Wasser zu bestellen, so sehr beschäftigt ihn das ganze Thema: "Die Zeitungen schreiben doch jetzt, das wir in Griechenland in der nächsten Zeit eine humanitäre Krise erwarten. Aber die erwarten wir gar nicht, die haben wir nämlich längst."

Da hat er Recht. Griechenland ist Katastrophengebiet: Die griechische Abteilung der "Ärzte der Welt" hat 2012 all ihre Ärzte aus Uganda, Afghanistan, Bolivien und anderen Dritte-Welt-Ländern abgezogen, weil Griechenland seit den Kürzungen im Gesundheitsbereich vom offiziellen Kriterienkatalog her selbst zu den Katastrophengebieten zählt. Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung haben keine Kranken- versicherung mehr. 30 Prozent, das sind drei Millionen Menschen, die nicht mehr zum Arzt gehen können und vom Krankenhaus abgewiesen werden.

Das bedeutet nicht, dass die anderen 70 Prozent auf ein funktionierendes Gesundheitssystem zurückgreifen können: Die Hälfte der griechischen Ärzte wurde entlassen, ganze Krankenhausstationen können nicht mehr arbeiten. Psychiatrische Krankenhäuser schicken chronisch Kranke nach Hause. Die Kindersterblichkeit ist zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent gestiegen, die Zahl der Suizide in Griechenland hat sich mehr als verdoppelt.

In Athen hat der Kardiologe Giorgos Vichas 2011 eine Sozialklinik für all die Menschen gegründet, die kein Anrecht mehr auf medizinische Betreuung haben, Arbeitslose, Alte, Migranten. Als Konstantinos Papadakis erstmals von diesen sozialen Kliniken hörte, fing er kurz entschlossen an, im Bekanntenkreis zu sammeln, Medikamente, Geräte, Zubehör. Ein Cousin von ihm, der in Kreta eine Speditionsfirma hat, nahm jedesmal, wenn er hier in Deutschland war, einen Schwung Hilfsgüter mit nach Athen.

Mittlerweile hat Papadakis das Ganze professionalisiert. Einer seiner Stammgäste im Preysinggarten ist Jürgen Gessner, der Gründer des Münchner Vereins StiftungLife. Die beiden kamen eines Abends hier im Lokal ins Gespräch über Griechenland - und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dieses Gespräch Menschenleben gerettet hat: Kurz darauf flogen die beiden zusammen nach Athen und besichtigten mehrere soziale Praxen, aber auch einige der sogenannten Gesundheitszentren. Das sind Ambulanzen, die den Krankenhäusern vorgelagert sind und diese bei der primären medizinischen Versorgung unterstützen.

Diese Gesundheitszentren wurden im Lauf der verschiedenen Sparrunden seit 2009 quasi total zerstört. Oder formulieren wir es so: Auf die Frage, was diesen Gesundheitszentren mittlerweile alles fehle, sagt Papadakis: "Alles. Alles, was eine europäische Praxis ausmacht." Die daran folgende Aufzählung wäre zu lang für diesen Artikel. Die nötigsten Gegenstände und Materialien sind im beistehenden Artikel aufgelistet.

Seit ihrem gemeinsamen Besuch im medizinischen Katastrophengebiet hat Papadakis sein Hilfsprojekt stark professionalisiert: Die StiftungLife finanziert über ein großes Nürnberger Speditionsunternehmen den Transport der medizinischen Instrumente. Und Papadakis besorgt das Material. Anscheinend mit großem Erfolg: Mehr als 30 Ultraschallgeräte haben sie mittlerweile nach Griechenland geschafft.

Papadakis wirkt sehr kräftig. Zum einen, weil er Unterarme wie ein Tennisspieler hat, beim Erzählen und Gestikulieren arbeiten unter der Haut verschiedenste Muskelstränge. Vor allem aber wirkt er innerlich sehr gefestigt und stark. Er lacht, als er das hört und erzählt dann von diesem Mädchen aus Nea Smyrni, einem Stadtteil in Athen.

Das Mädchen stammt aus einer Migrantenfamilie und geht auf eines der großen Athener Gymnasien. Es wirkte auf seine Lehrer sehr intelligent, war aber extrem verschlossen. Es fand keinen Kontakt zu den Mitschülerinnen, arbeitete kaum mit und schrieb schlechte Noten. Die Familie beschrieb das Mädchen als wild und unzugänglich. Eine Lehrerin war so irritiert, dass sie mit ihr zur benachbarten sozialen Klinik ging. Dort stellte die HNO-Ärztin fest, dass das Mädchen schwerhörig war. Papadakis besorgte ihr zwei Hörgeräte, die ihr operativ eingesetzt wurden. Mittlerweile gehört das Mädchen zu den Klassenbesten. Sie hat Freundinnen gefunden und sagte zu ihrer Lehrerin, dass sie jetzt optimistisch für die Zukunft sei. Papadakis zuckt mit den Schultern. "Ein paar Hörgeräte, mehr nicht. Und alles ändert sich. Wenn man so etwas hört, muss man doch einfach weitermachen."

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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