Heimische Natur:Vögel - die unbekannten Wesen

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Forscher beklagen die mangelhafte Kenntnis hiesiger Arten und fordern eine Änderung des Lehrplans.

Astrid Becker

Neulich im Tierpark Hellabrunn. Ein etwa 35 Jahre alter Mann steht mit seinem dreijährigen Sohn vor einem Gehege im Afrikateil des Münchner Zoos. Der Bub deutet auf einen schwarzweiß-gefiederten Vogel mit riesigem Schnabel und relativ langen Beinen. "Papa, was ist das?" fragt er. Der Vater antwortet: "Ein Pinguin". Als er später auf die Beschilderung blickt und feststellen muss, dass es sich bei diesem Vogel nie und nimmer um einen Pinguin handeln kann, sondern vielmehr um einen Marabu, entfährt ihm: "Bei all diesen Exoten soll man noch den Überblick bewahren."

Unbekanntes Kuscheltier? Ein Mädchen drückt seine Nase an eine kleine, flauschige Ente. (Foto: Foto: Reuters)

Diese Geschichte mag grotesk klingen, ist aber bitterer Ernst und bezieht sich keineswegs nur auf Vogelarten anderer Kontinente. Denn obwohl von 260 heimischen Arten immerhin 110 bedroht seien und alle Welt von Naturschutz und dem Erhalt der Biodiversität spreche, seien heute nur mehr wenige Menschen in der Lage, einen Gimpel von einem Rotkehlchen zu unterscheiden, sagt auch der Chef des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) in München, Heinz Sedlmeier: "Wir hatten bereits Biologen, die sich um eine Stelle bei uns beworben haben, aber auf die Frage, welche Pflanzen und Tiere in München heimisch sind, waren sie absolut blank. Sie lernen die Systematik nicht mehr im Studium."

Auch bei seinem Bildungsprogramm für nachhaltige Entwicklung musste der LBV immer wieder feststellen, dass die Artenkenntnis bereits bei Kindern und Jugendlichen sehr gering ist.

Diese Beobachtung hat nun der Zoologe und Tierökologe Volker Zahner von der Fakultät Forstwissenschaft der Fachhochschule Weihenstephan in einer umfangreichen Studie wissenschaftlich belegt. Von 2006 an hat der Forscher die Vogelarten-Kenntnis von insgesamt 3228 Schülern aus ganz Bayern auf den Prüfstand gestellt. Jetzt ist er zu einem erschreckenden Ergebnis gekommen: Nur zwei Vogelarten wurden von rund zwei Dritteln aller Befragten erkannt: die Amsel (76 Prozent) und die Elster (65,9 Prozent).

Der Buchfink hingegen, die häufigste hierzulande vorkommende Vogelart, ist hingegen mit 5,8 Prozent nahezu unbekannt - ebenso wie Zaunkönig, Kleiber, Gimpel oder Kohlmeise. Insgesamt zwölf Arten hat Zahner den Schülern gezeigt, davon konnten das Rotkehlchen oder auch den Spatz gerade noch durchschnittlich ein Drittel der Schüler benennen. "Ein interessantes Phänomen" nennt Zahner jedoch die Entdeckung, dass viele derjenigen Schüler, die das Rotkehlchen noch richtig identifizierten, es später mit einem Dompfaff verwechselten.

Und diejenigen, die angaben, ihr Wissen aus dem Fernsehen oder dem Internet zu beziehen, konnten Amseln nicht von Krähen unterscheiden. "Ihnen fehlte vor allem das Gefühl für die Größenunterschiede der beiden Arten - das ist im Fernsehen nicht zu sehen." Auch auf die Frage, von welchen Faktoren Artenkenntnis abhängt und wie sie sich entwickelt, gewannen die Forscher ernüchternde Erkenntnisse: Selbst Kinder, die angaben, häufig in der Natur zu sein, kannten nicht unbedingt mehr Arten - obwohl Landkinder im Vergleich noch besser abschnitten als Stadtkinder. Wenngleich Zahner hier große regionale Unterschiede ausmachen konnte: So kannte jeder zweite Oberpfälzer Schüler den Spatz, in Oberbayern war es immerhin noch jeder dritte. In Mittelfranken hingegen nur jeder hundertste Schüler (1,2 Prozent).

Auch diejenigen, die angaben, ihre Kenntnisse aus der Schule zu haben, schnitten gerade einmal durchschnittlich ab. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen spiele die heimische Natur in den Klassen nach der Grundschule in den Lehrplänen kaum eine Rolle. Zum anderen erlahme das Interesse der Schüler daran von der 5. Klasse an, obwohl sich bis zur 7. Klasse noch ein wenig Wissen ansammele. Von da an allerdings, so Zahner, stagniere der Wissensstand - und ändere sich selbst nach dem Abitur nicht mehr.

Kinder hingegen, die zuhause mit einem Garten aufwachsen, besaßen im Vergleich ein überdurchschnittliches Wissen: Sie kannten 1,2 Arten mehr als alle anderen. Auch diejenigen, die von Verwandten, Eltern oder Freunden ermuntert werden, Nistkästen oder Futterstellen zu betreuen, schnitten bei dem Test besser ab. Zahners Ziel ist nun ganz klar: "Die Lehrpläne müssen geändert werden - an den Schulen ebenso wie an den Universitäten."

Bis dahin wird die Aufgabe, verlorenes Wissen über die Arten zu vermitteln, von Organisationen wie dem LBV übernommen. In speziellen Kindergruppen wird mit Entdeckungstouren in die Natur versucht, Interesse zu wecken. Denn, so sagt Sedlmeier, "wie soll jemand die Natur schützen, wenn er gar nicht weiß, was daran schützenswert ist?"

© SZ vom 21.11.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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