Grundschulstress:Überzogene Anforderungen

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"Besonders auffällig" vom 13. Dezember:

Mich wundert der Bericht gar nicht. Ich habe selbst vier Kinder, die gerade die Grundschule in Bayern besuchen. Ganz normale, zeitgemäß entwickelte Kinder, die an allem interessiert sind. Dennoch müssen sie sich in der Grundschule schon ganz schön plagen. Die Grundschulzeit empfinde ich als extrem stressig.

Da lese ich nämlich mit Verblüffung Hefteinträge mit der Überschrift "Das vokalisierte ,r' ", "nachgestellter und vorgestellter Redebegleitsatz", "das Verb steht an der zweiten Satzgliedstelle", und so weiter. Wow! Ich bin jedes Mal baff und muss die Sätze mindestens zwei Mal lesen, um überhaupt zu verstehen, was da gemeint ist. Wie sollen das Kinder im Alter von 8 Jahren begreifen, und vor allem auch zu 100 Prozent umsetzen?

Wir kommen aus keinem bildungsfernen Haushalt und ich habe mehr als 200 Bücher gelesen oder im Haus, oder was man halt angeblich haben muss, damit die Kinder lesen lernen. Ich tue mir sehr schwer, mich daran zu gewöhnen, dass Rechtschreibung nicht mehr anhand des Diktats geübt wird. Das ist verpönt. Stattdessen lernen meine Kinder seit der zweiten Klasse circa 20 Rechtschreibregeln, nach Duden, mit den jeweiligen Ausnahmen dazu. Das Wort "Pappe" hat einen kurzen Vokal, deshalb schreibt man es mit zwei "p", also Doppelkonsonant. "Zwei p" wäre auch zu banal ausgedrückt. Möglicherweise würden die Kinder das auch einfach so lernen, wenn sie das Wort 20 Mal geschrieben haben. Vielleicht käme bei dem ein oder anderen dann sogar die Idee auf, das Wort "Puppe" dann auch richtig zu schreiben. Einfach so, ganz ohne Regel, nur aus Intuition? Nein, Achtjährige leiten sich dies an einer Rechtschreibregel ab. Mit zugehörigen Ausnahmen. Wer wissen möchte, was ein "vokalisiertes r" ist und was es damit in der Rechtschreibung auf sich hat, möge einen Drittklässler fragen. Vielleicht kann er es erklären. Wer hier schon nicht mehr folgen kann, schafft das Grundschul-Abitur leider nicht.

Das ist nicht nur im Fach Deutsch so, sondern gilt auch für die Fächer Mathematik und HSU. Gerade im Fach HSU (Heimat- und Sachunterricht) reicht es nicht, ein Sachthema für die jeweilige Altersstufe entsprechend interessant zu gestalten, nein, es muss schon ein kleines Grundstudium sein. Da reicht beim Thema "Müll" in der zweiten Klasse nicht das große Ganze, etwa Mülltrennung und Müllvermeidung, vielmehr muss ein kompletter Recyclingvorgang mit den dazu gehörigen Fachbegriffen beschrieben werden können. Ansonsten reicht es nur für die Noten 4 und 3. Ja, es gibt gerne mal die Note 4, auch in Nebenfächern, wo doch eigentlich die Grundschule den Kindern Lust auf Schule und Lernen machen sollte. Aber da denke ich vielleicht zu kurzsichtig und zu wenig leistungsorientiert.

Mich wundert es deshalb nicht, wenn immer mehr Kinder überfordert sind und sich dies in Ängsten, Aggression, Konzentrationsschwierigkeiten und Störung des Unterrichts bemerkbar macht. Sie wissen sich halt nicht anders zu helfen, wenn sie nicht mehr mitkommen. Doch statt den wahren Grund zu suchen, ist es natürlich einfacher, die Kinder zu allen möglichen Tests, zum Sozialpädagogen, zum Psychiater und zu sonstigen Therapeuten zu schicken. Sind die Kinder wirklich auffälliger oder weniger intelligent und leistungsbereit als frühere Generationen? Das glaube ich wirklich nicht! Ich würde mir nur für alle Kinder von ganzem Herzen wünschen, dass der Lehrplan und Unterricht nicht nur für die Schlauesten zehn Prozent gemacht würde, sondern auch für den Rest der Kinder. Darauf haben die Kinder nämlich einen Anspruch. Nicht auf Beratung, welche Therapie in Frage kommt, damit das Kind nicht mehr stört. Es sind schließlich Kinder und wir reden von der Grundschule!

Miriam Reihl, Feldkirchen-Westerham

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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