Grundsatzbeschluss zum Radverkehr:Einen Gang rauf

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Weil die Stadt den Autos keinen Platz wegnehmen will, geht es beim Ausbau des Radverkehrs nur langsam voran. Die Grünen fordern nun mehr konkrete Maßnahmen. Am Mittwoch diskutiert der Stadtrat

Von Andreas Schubert

Man stelle sich mal folgende Bilder vor: An der Fraunhoferstraße sind breite, rote Streifen, auf denen Radfahrer sicher an der Tram vorbeifahren können, ohne mit den Rädern in die Gleise zu kommen oder mit einer sich öffnenden Autotür zusammenzukrachen. In der Lindwurmstraße fahren die Radler sicher in Richtung Sendlinger Tor, ohne ständig Fußgängern oder anderen Radlern ins Gehege zu kommen. Solche und weitere Ideen haben die Münchner Grünen gesponnen, um den Radverkehr in der Stadt sicherer und somit attraktiver zu machen. Nur: Vorerst bleiben solche Vorschläge wohl fromme Wünsche.

Denn an der Fraunhoferstraße würden dann sämtliche Parkplätze wegfallen und an der Lindwurmstraße müsste mindestens eine Autospur geopfert werden. Und das ist im Jahr 2017 in München nicht zu machen. Zwar hat es eine Radspur in der Lindwurmstraße vor fünf Jahren schon einmal gegeben, als die Fußgängerwege wegen Leitungsarbeiten aufgerissen waren. Doch das war in den Sommerferien, in denen weniger Verkehr floss. Das Planungsreferat hat das Vorhaben, sich mit dieser Situation genauer zu befassen, erst einmal zurückgestellt. Und die Fraunhoferstraße? Die taucht in den aktuellen Plänen der Stadt gar nicht erst auf. Dahinter, so vermuten die Grünen, stecke auch der politische Wille der schwarz-roten Rathauskoalition, die sich nicht unbeliebt machen will bei Autofahrern und Geschäftsleuten, die ja auch Wähler sind.

An diesem Mittwoch will der Stadtrat den Grundsatzbeschluss zur Förderung des Radverkehrs fortschreiben. Dazu tagen Planungs-, Bau- und Kreisverwaltungsausschuss gemeinsam. Dieser Grundsatzbeschluss wurde erstmals 2009 gefasst, mit dem Ziel, den schon damals ausufernden Autoverkehr in den Griff zu bekommen. "Nur wenn das Radfahren tatsächlich sicher und komfortabel ist und Spaß macht, werden entsprechende Imagekampagnen erfolgreich sein", hieß es damals im Beschluss. Die Landeshauptstadt hatte damals gerade beschlossen, sich zur Radlhauptstadt auszurufen.

Heute leben 200 000 Menschen mehr in der Stadt als damals, kurven 100 000 mehr motorisierte Fahrzeuge durch die Gegend, vom Auto bis zur Zugmaschine. Seither ist aber auch die Zahl der Radfahrer merklich gestiegen. Die Fortschreibung des Beschlusses von 2009 soll dieser Tatsache Rechnung tragen. Und es steht ja eigentlich eine ganze Menge auf der Radl-Agenda: Neue Fahrradstreifen auf Fahrbahnen sollen geschaffen werden. Zu den derzeit 370 für gegenläufigen Radverkehr freigegebenen Einbahnstraßen sollen weitere dazukommen: 700 Einbahnstraßen gibt es insgesamt im Stadtgebiet, das Kreisverwaltungsreferat sieht hier noch Potenzial. Und den bestehenden 60 Fahrradstraßen könnten ebenfalls weitere folgen. Die Stadt ist auf der Suche nach neuen Routen für Radler, dazu gehören auch Radschnellwege, die derzeit geprüft werden, sowie viele kleine Verbesserungen, die die Sicherheit erhöhen sollen: die rote Markierung von Radwegen an Kreuzungsübergängen, Umbauten von Kreuzungen und veränderte Verkehrsführungen, aber alles unter der Vorgabe, dass an Hauptverkehrsstraßen den Autofahrern möglichst keine Spuren weggenommen werden sollen. Bei der Kapuzinerstraße, die im Grundsatzbeschluss als "Leuchtturmprojekt" geführt ist, hat die Stadt Letzteres bereits vor vier Jahren umgesetzt und den Radlern deutlich mehr Platz eingeräumt. Doch seit jeweils eine Spur pro Richtung weggefallen ist, zeigt sich dort täglich ein ernüchterndes Ergebnis: Die Verkehrsader zwischen Lindwurmstraße und Isar ist zwar nun sicherer für Radfahrer, das heißt aber nicht, dass nun merklich weniger Autos unterwegs sind. Der Stau gehört zum Alltag - mitsamt einer riesigen Menge an Abgasen. Freude am Radfahren sieht anders aus. Und dass immer noch so viele trotz Stau nicht aufs Auto verzichten, mag daran liegen, dass die Verbesserungen für Radler noch nicht flächendeckend eingeführt wurden.

An der Kapuzinerstraße ist immerhin etwas passiert, anders als an einigen anderen Ecken der Stadt, die es nötig hätten. So hat erst im Oktober die Polizei harsche Kritik an der Stadt geübt, weil das Radeln auf der Leopoldstraße mitunter lebensgefährlich sei. Schaut man aber in die Liste im Beschluss, steht da, wie auch bei der Lindwurmstraße: zurückgestellt. Der Grund sind die Bauarbeiten am Sendlinger-Tor-Platz respektive am Altstadtringtunnel. Ohne eine ausreichende Bewertung der Verkehrsströme, die während dieser Bauzeit nicht möglich sei, kann die Verwaltung nicht einfach so den Wegfall von Autospuren empfehlen. So geht das bei einigen anderen Projekten auch: Sie werden erst einmal gründlich geprüft, bevor etwas passiert. Dabei sieht die Analyse in der Beschlussvorlage ja Handlungsbedarf, nicht nur wegen der Sicherheit der Radler, sondern auch wegen der Luftqualität.

Doch an der Vorlage ist deutliche Kritik laut geworden, nicht nur von den Grünen. So kritisieren Bezirksausschüsse wie auch der Fahrradklub ADFC, dass sich außer dem Willen, Machbarkeitsstudien in Auftrag zu geben, nicht viel grundlegend tun werde - und vor allem gehe es mit Verbesserungen nicht schnell genug voran. Viele vermissen mutige Entscheidungen. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit zeigt denn auch, dass das schwarz-rote Rathausbündnis bei Verkehrsfragen oft nicht wirklich mutig ist. So sollte die Rosenheimer Straße zwar für Radler attraktiver und sicherer werden. Eine eigene Fahrspur haben sie trotzdem nicht bekommen. Die Kompromisslösung sieht dort nun Tempo 30 vor sowie Markierungen auf der Fahrbahn, welche die Autofahrer auf die Radler aufmerksam machen sollen.

Die Grünen reagieren mit einem Änderungsantrag, den sie am Mittwoch einbringen wollen. Darin fordern sie bis zum Jahr 2025 konkrete Handlungen. Ihr Antrag sieht vor, fünf neue Radschnellwege vom Stadtrand bis zum Mittleren Ring zu realisieren, zehn komfortable Radverkehrsachsen zu schaffen, zum Beispiel an der Leopold- oder Dachauer Straße. Weiter sollen 50 Lücken im Radnetz geschlossen und 25 Brücken, Stege und Unterführungen saniert oder neu gebaut werden, insbesondere der Arnulfsteg über die Bahngleise zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke. Zudem fordern die Grünen, 250 Kreuzungen so umzubauen, dass dort sichere Fahrradstellplätze geschaffen werden können sowie den Bau von 20 000 überdachten Stellplätzen für Räder an U- und S-Bahnstationen, ein größeres Angebot an MVG-Leihrädern und - nicht zuletzt - die Erhöhung der Nahverkehrspauschale zum Ausbau von Rad- und Gehwegen von derzeit zehn auf 50 Millionen Euro jährlich. Wenn der Antrag nicht durchgeht, und damit rechnet die Fraktion, wird er demnächst in den Stadtrat eingebracht.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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