Gründungsfest:Luftsprünge zum Stadtgeburtstag

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München feiert seine Gründung vor 858 Jahren - und hat einen Oberbürgermeister, der sich das leicht merken kann. Zum Fest gibt's Musik, Böllerschüsse und Tanzgenüsse - und wer mag, fährt zart rumpelnd ums Alte Rathaus

Von Tom Soyer

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter ist mathematisch auf der ganz sicheren Seite, was das offizielle Gründungsjahr seiner Stadt angeht: "Das kann ich mir gut merken", sagt er bei der Eröffnung des Festes zum 858. Stadtgeburtstag auf der Marienplatz-Bühne, "ich bin da genau 800 Jahre jünger", verrät Reiter - und lacht hinüber zu den Menschenmassen, die am sonnigen Samstagmittag mit ihm feiern. Dann grinst er noch breiter hinauf zum Turm des Alten Peter, wo es die Böllerschützen gleich nach dem Rathaus-Glockenspiel sehr, wirklich sehr vernehmlich über die Dächer Münchens hinweg krachen lassen.

Im Vorfeld des Stadtgeburtstagsfestes gab es einigen Wirbel, weil der Verwaltungsgerichtshof auf eine Klage der Gewerkschaft Verdi hin eine Sonntagsöffnung der Innenstadt-Läden untersagte. Die Stadt München hat diese Ausnahme per Verordnung erlauben wollen - und an sich hätte das auch historisch gut zum Stadtgeburtstag gepasst: Der erinnert an Münchens früheste urkundliche Erwähnung im Jahr 1158, als Heinrich der Löwe die alte Isar-Brücke in Oberföhring zerstören ließ, um selbst den Wegzoll der bedeutsamen Salzstraße zu kassieren, bei seiner Brücke isaraufwärts, "Bei den Mönchen". Um den Brückenschlag zum großen Geld ging es also bei jener Stadtgründung - und das wäre gewissermaßen auch das Thema der Ladenöffnung am Sonntag gewesen.

Na ja, der politische Wirbel ist vorbei - und die Besucher, die auch am Sonntag trotz des Regens erstaunlich zahlreich zum Feiern auf den Rindermarkt, den Marienplatz und zur großen Präsentation der Handwerksberufe auf den Odeonsplatz kommen, sehen die Themen eh ziemlich getrennt: Die einen wollen shoppen, die anderen feiern. "Ich denke auch nicht, dass eine Sonntagsöffnung zusätzlich motiviert, zum Stadtgeburtstag zu kommen", sagt OB Reiter hinter der Bühne nach den Böllerschüssen. "Das ist nicht existenziell, das beeinträchtigt den Spaß am Fest in keiner Weise." Dennoch sieht er Hausaufgaben auf sich und den Stadtrat zukommen bei diesem Thema. Denn schließlich wolle er "nicht jedes Jahr einen Prozess führen und das so medial austragen - da müssen wir uns noch Gedanken machen und das für die Zukunft regeln". Könnte bedeuten, dass nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs und all der Kritik von Gewerkschaften und Kirchen eine solche Sonntagsöffnung erst einmal gestorben ist. Aber genau festgelegt hat sich Reiter am Samstag nicht.

Die Sache mit dem Salzzoll und der Isarbrücke vor 858 Jahren wird also mit viel Musik in Münchens guter Stube gefeiert. Ein paar Sportbegeisterte von der Technischen Universität München sind auch dabei und "hauchen der Geschichte Leben ein" auf der Bühne vorm Rathaus. Sehr akrobatisches Leben zumal, denn die "Münchner Moriskentänzer", die es seit 40 Jahren gibt, kleiden sich wie jene mittelalterlichen Holzfiguren, welche der berühmte Bildhauer Erasmus Grasser im Jahr 1480 für den Tanzsaal des (alten) Münchner Rathauses geschaffen hatte. Zehn jener ursprünglich 16 Figuren sind erhalten - Kopien zieren heute noch den Saal im Alten Rathaus, die Originale sind im Stadtmuseum zu bewundern. Oder eben, noch origineller, als TU-Tanzgruppe auf der Bühne. Zu mittelalterlicher Musik zeigen sie die "Moriska", eine Tanz-Volksbelustigung jener Zeit, bei der die Akteure mit gespreizten, teils tölpelhaften Luftsprüngen die Gunst einer schönen Maid zu erringen versuchen. Wobei das, was da manchmal etwas ungeschickt aussieht, in Wirklichkeit tänzerische und sportliche Akrobatik ist. Wer kann schließlich schon während eines Luftsprungs zwischen seinen Schuhspitzen hin- und hergreifen?

Getanzt wird auch im Alten Rathaus, unter den Kopien der Erasmus-Grasser- Figuren, und zwar die "Münchner Française", ein Volkstanzvergnügen mit 150 Jahren Tradition. Katharina Mayer ruft in charmantestem Bairisch die Kommandos an die 72 Paare - "angetäuschter Platzwechsel, und dann samma wieda do!" - und hat engagiertes Publikum. Kein Wunder, denn Ludwig Beck, der ältere Zerberus unten an der Eingangstüre zum Alten Rathaus, lässt niemanden hoch in den Saal, der nur fotografieren oder zuschauen will. "Naa, Ihr miasst's scho mittoa, gell!" Und so drehen sie dann oben die "Genussrunden", absolvieren "Damenkette" und "Dreher am Platz". Das "Erste Münchner Salonorchester" unter Leitung von Thomas Hellhake spielt dazu munter auf.

Am Rindermarkt geht es "irish-bairisch" zu, mit Guinness-Bier, Gegrilltem und Folk-Musik, mal in Weißblau und mal in Grün, etwa von der Band Sequel. Und das MVG-Museum schickt zum Stadtgeburtstag vom Alten Rathaus aus einen Wagen der Münchner Pferdetrambahn von 1876 auf einen zehnminütigen Rundkurs. Die süddeutschen Kaltblüter "Bubi" und "Fritz", geführt von Georg Mayr aus Rottenbuch, ziehen das begeisterte Publikum zart rumpelnd durch die Stadt. Die Pferdetrambahn in München war zwischen 1876 und 1900/1901 unterwegs, danach wurden die letzten Pferde verkauft und machten ihren Haltern bei Kutschfahrten in die Stadt einen rechten Spaß, berichtet Peter Gaudan vom Verein der Freunde des Münchner Trambahnmuseums: Sie hielten an allen ehemaligen Haltestellen, das hatten sie so in Fleisch und Blut. Tradition halt.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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