Gleichstellung:Party-Politik

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"Tausche Horst Seehofer gegen Josef Schmid": Beim Christopher-Street-Day erhält der CSU-Bürgermeister Applaus. Fast 100 000 Leute kommen zur Parade quer durch die Innenstadt. Oberbürgermeister Dieter Reiter regt ein lesbisches Zentrum an

Von Marco Völklein

Es ist etwa Viertel nach elf am Samstagmittag, als auf dem Marienplatz zwei Dragqueens für die Smartphones der vielen Touristen posieren. Gleich geht sie los, die große Parade zum Christopher-Street-Day quer durch die Innenstadt. Noch aber müssen die beiden Dragqueens warten. Die eine trägt ein silbernes Kleid, bodenlang, weit ausladend. Die andere hat sich einen überdimensionalen Kleiderbügel auf die Schultern montiert. "Was machen die denn da?", fragt das kleine Mädchen an der Hand seiner Mutter. Ja, was machen die da genau? Party? Oder Protest? "Feiern", sagt die Mutter knapp. Stimmt ja auch. Irgendwie.

Der Christopher-Street-Day, abgekürzt CSD, ist ein großes Fest, eine bunte Parade, eine laute Party. Das wird kurz darauf deutlich, als die sogenannte Politparade loszieht, vom Marienplatz aus einmal quer durch die Innenstadt. Knapp vier Dutzend Musiklastwagen beschallen die laut Polizei fast 100 000 Zuschauer, die am Straßenrand stehen. Die winken, Fotos machen, mittanzen. Oder sich das schrille Spektakel einfach nur ansehen, an dem sich mehr als 70 Gruppen beteiligen. Die Rosa Liste ist dabei, weitere Parteien wie SPD, Linke, FDP, Grüne und Piraten, die Münchner Aidshilfe hat einen Truck angemietet und eine Musikanlage draufgebaut, zwei schwul-lesbische Fanklubs des FC Bayern sind schon von Weitem zu erkennen, weil sie riesige Vereinsflaggen durch die Luft wirbeln. Der Verband schwuler Lehrer in Bayern ist genauso dabei wie die "Freizeitgruppe für mitteljunge Lesben" oder das stadteigene Unternehmen Münchenstift mit einem Plakat: "Pflege ist bunt." Sie alle ziehen lachend, winkend, tanzend durch die Stadt. Zwei Tage lang wird gefeiert rund ums Rathaus, und in der Nacht auf Sonntag auch in dem neugotischen Gebäude beim Rathaus-Clubbing.

Der Christopher-Street-Day hat aber auch eine politische Komponente. Er ist nicht nur Party, er ist auch Protest. Das wird bei den Reden deutlich, die auf der Bühne auf dem Marienplatz gehalten werden. "Familie ist, was wir draus machen" - so lautet das Motto des Münchner CSD in diesem Jahr. "Es ist ein Unding", sagt Michael Mattar, der für die FDP im Stadtrat sitzt, "dass man uns unterstellt, dass Kinder bei uns nicht gut aufgehoben sind." Es geht um die Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen. Es geht um die "Ehe für alle". Es geht darum, dass auch schwule und lesbische Paare Kinder adoptieren können. "Was die Iren geschafft haben, was in den USA geschafft worden ist, das sollten auch wir in Deutschland schaffen", fordert SPD-Stadtrat Christian Vorländer.

Noch allerdings gibt es große Widerstände. Eine Bundestagsmehrheit für die Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren "scheitert an CDU und CSU", sagt FDP-Mann Mattar. Umso gespannter verfolgen die Zuhörer dann auch die Rede des Zweiten Bürgermeisters Josef Schmid, ein Mann der CSU. Er tritt seit einigen Jahren beim Münchner CSD auf, versucht, seine Partei zu öffnen für die Anliegen der Schwulen, Lesben und Transsexuellen. Und er bleibt auch in diesem Jahr bei dieser Linie: "Die Frage, ob man für eine Elternrolle geeignet ist, ist keine Frage der sexuellen Orientierung", sagt er. Homosexuelle Paare sollten die Möglichkeit bekommen, nicht-leibliche Kinder zu adoptieren. Denn: "Für Kinder macht es keinen Unterschied, ob sie in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften oder in gemischt-geschlechtlichen Ehen aufwachsen."

Dafür bekommt er Applaus. Und Lob von anderen Rednern: Wenn sie so auf die CSU schaue, sagt CSD-Mitorganisatorin Rita Braatz, dann würde sie einen Politiker wie Schmid "liebend gerne austauschen gegen einen Seehofer". Und auch Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich begrüßt die Aussagen des Zweiten Bürgermeisters, will dann "aber auch auf dem nächsten Landesparteitag der CSU die entsprechende Initiative dazu sehen".

Sie sind skeptisch gegenüber den Aussagen des Bürgermeisters, die Mitglieder der schwul-lesbischen "Großfamilie", als die sie sich mehrmals bezeichnen an diesem Tag. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versucht, diese Skepsis politisch auszunutzen: Er verkündet, er werde die Einrichtung eines Zentrums für lesbische Frauen vorschlagen - damit würde die Stadt einen seit langem vorgetragenen Wunsch der Bewegung erfüllen. Und dann legt er nach: "Dann werden wir ja sehen, wie weit es ist mit der Liberalität im Stadtrat." Dann werde man erkennen, wer für den Vorschlag stimme. "Wer es ernst meint", ruft Reiter. "Und wer nicht."

Beim Start der Politparade an der Ecke zur Dienerstraße wird CSU-Mann Schmid dann noch mal gefragt, ob und gegebenenfalls wann er eine Initiative starten wird in seiner Partei für das Adoptionsrecht der Homosexuellen. Er werde das Thema "in geeigneter Weise vorantreiben", antwortet Schmid. Und dass er sich ungern von Mitgliedern anderer Parteien vorschreiben lasse, wie er etwas zu machen habe. Dann muss er los, um die Politparade anzuführen, zusammen mit Reiter und Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl. Genug Politik für heute. Jetzt wird gefeiert beim CSD.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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