Generationsübergreifend:Würfeln um die Weltherrschaft

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Auch auf der 25. Spielwiesn nutzen die Besucher wieder die Gelegenheit, neue Gesellschaftsspiele wie das "Leaders" testen

Von Wolfgang Görl

Reinhard Kern sieht aus, als wolle er in den Krieg ziehen. Kampfuniform der US-Armee, Tarnmuster in diversen Grün- und Brauntönen, auf dem Ärmel prangt das Abzeichen der 1. Kavallerie - über der Brust aber glänzt das Rot-Weiß-Rot der österreichischen Flagge, was dem martialischen Anblick eine heitere Note von Wiener Kaffeehausgemütlichkeit hinzufügt.

Nun ja, Reinhard Kern ist aus Linz nach München gekommen, um auf der "Spielwiesn" im MOC das Strategiespiel "Leaders" seiner Firma "rudy games" zu präsentieren. Vier Jungs haben gleich mal am Tisch vor Kerns Stand Platz genommen und probieren das Spiel aus. Einer von ihnen ist Till, und der findet das Spiel "super", weil man sich eine gute Strategie überlegen müsse. Wie jeder Spieler bei "Leaders" schlüpft Till in die Rolle einer historischen Persönlichkeit aus der Zeit des Kalten Krieges: Als sowjetischer Regierungschef Nikita Chruschtschow kämpft er auf dem Spielbrett gegen John F. Kennedy, Adenauer und de Gaulle. Es geht um nichts Geringeres als die Weltherrschaft, wobei sich die Kombattanten mit militärischen und diplomatischen Mitteln bekämpfen, aber auch wirtschaftliche und technologische Vorteile zu erringen versuchen, notfalls mit Spionage. Das klingt nach einem schrillen Computerspiel, ist es aber nicht. Die wesentlichen Bestandteile sind Würfel und Figuren, eine App gehört freilich auch dazu. Nicht, weil das digitale Zeug en vogue ist, sondern, wie Kern versichert, "weil sie einen Mehrwert bietet". Analoge und digitale Spielelemente ergänzen sich.

Ansonsten aber ist die Spielwiesn eine Messe, bei der richtige Menschen an richtigen Tischen sitzen, sich ins Auge blicken und ohne technische Medien miteinander reden und dabei eines der hier zum Kauf oder auch nur zum Test angebotenen Gesellschaftsspiele zelebrieren. "Dieses generationsübergreifende Miteinander ist für mich was ganz Tolles", sagt Petra Griebel, die die Spielwiesn vor 25 Jahren gegründet hat und an diesem Samstagnachmittag gerührt dasteht, weil die Mitarbeiter ihr zum Jubiläum eine fünfstöckige Torte spendiert haben. Die Leute, fügt sie hinzu, glotzen hier nicht in den Computer, sondern spielen miteinander. "Hier wird geschwitzt, gelacht, gelitten und gewütet." In der Tat: Eine dauerhafte Stimmenkakofonie erfüllt die Messehallen des MOC, an den zahllosen Spieltischen werden Karten geklopft, Würfel geworfen, Spielsteine bewegt, Strategien entworfen.

Wunderwelt der Spiele: Die Kleinen erfreuen sich an rollenden Kugeln. (Foto: Florian Peljak)

Kinder, Jugendliche, Erwachsene tauchen imaginär ein in exotische Welten und ferne Zeiten, unternehmen Spielreisen in die Steinzeit, pirschen durch den Dschungel oder erbauen das Ulmer Münster. Oder sie sind Detektiv oder gar Mörder, etwa wenn sie eines der Krimispiele des Grafinger Samhain-Verlags spielen. Am besten, sagt Verlagschef Roger Krykon, trifft man sich zu einem Dinner, jeder schlüpft in eine Rolle, und dann geht es darum, den Mörder zu entlarven, der seinerseits natürlich alles tut, den Verdacht auf andere zu lenken. Nicht immer wird er entdeckt.

Im alltäglichen Leben ist Volker Baumgarte Informatiker, während der drei Messetage aber fungiert er als Spielberater. Wer ein Spiel testen möchte, leiht es sich an der Spielothek aus, und Menschen wie Baumgarte kommen mit, um die Regeln zu erklären. Volker Baumgarte ist ein wandelndes Spielelexikon, er kennt fast jede Neuerscheinung oder zumindest merkt er rasch, wie sie funktioniert. Als er vor rund 15 Jahren nach München kam, kannte er niemanden, er fühlte sich unwohl in der Stadt, die ihm kalt und abweisend erschien. Eines Tages hat er die Spielwiesn besucht, hat übers Spiel Kontakte geknüpft und auf Spieltreffs seine Kenntnisse vertieft. Irgendwann hat ihn einer gefragt, ob er nicht Spielberater auf der Messe werden wolle. Ja, das wollte er. "Ab diesem Moment war München für mich schön", sagt er. "Ich war angekommen."

Wer schon etwas größer ist, probiert die neuesten Brettspiele aus. Rund 55 000 Besucher zählten die Veranstalter. (Foto: Florian Peljak)

Rund 1200 verschiedene Spiele stehen in den Regalen der Messe-Spielothek. Die Freaks fragen gleich nach den Neuheiten, erzählt Baumgarte, Eltern mit Kindern suchen lieber was "Leichtes und Lustiges". Und Computerspiele? Nein, hat er nichts dagegen. Dennoch gefallen ihm die konventionellen Brettspiele besser. "Man sitzt zusammen, trinkt ein Glas Wein, ein bisschen Glück, ein bisschen Taktik, und man hat jede Menge Spaß."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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