Gemeinden ohne Geldsorgen:Reichtum schadet nicht

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Dank hoher Gewerbesteuereinnahmen kann Unterföhring kostenlose Kinderbetreuung anbieten. Was noch fehlt, ist ein Gymnasium, das Grünwald dank seines Wohlstands bereits aus eigenen Kräften gebaut hat

Von Sabine Wejsada und Claudia Wessel

Grünwald im Jahre 2019. Eine Schlange beeindruckender Limousinen bildet sich vor der Einfahrt zur Tiefgarage des Gymnasiums an der Laufzorner Straße. Am Steuer: Schülerinnen und Schüler des Abi-Jahrgangs. Die sind in diesem September nach den Sommerferien erst in der achten Klasse, denn die Schule wurde 2014 eröffnet mit den Jahrgangsstufen 5 bis 7. Auch die Tiefgarage selbst ist beeindruckend: geräumig mit 166 Stellplätzen. Darin finden nicht nur die Fahrzeuge der Lehrer Platz, sondern sie ist auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Und später natürlich auch für Abiturienten mit Auto. Doch nicht nur die Garage, sondern die gesamte Ausstattung des Gymnasiums lässt einen Kenner "normaler" Schulgebäude mit offenem Mund dastehen. Denn diese Schule ist Luxus.

Bauherr war die Gemeinde Grünwald. Sie brauchte dafür keine Fördermittel des Freistaates und musste daher auch die Bauvorgaben, die für Zuschüsse nötig sind, nicht beachten. So sind die Klassenzimmer besonders groß, im Keller findet man ein Grab aus der Bronzezeit, das bei archäologischen Grabungen auf der Baustelle zum Vorschein kam. Solche Geschichtsarbeit, also die Auswertung archäologischer Funde, kann in vielen Gemeinden nicht finanziert werden. In Grünwald schon.

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11 000 Einwohner, 8000 angemeldete Firmen - nicht zuletzt diesem Verhältnis verdankt Grünwald seine hohen Gewerbesteuereinnahmen und damit seinen Reichtum. 140 Millionen Euro soll im Haushalt 2015 die Gewerbesteuer bringen. Danach kommt lange nichts, dann die Beteiligung an der Einkommensteuer mit 8,9 Millionen Euro und an der Umsatzsteuer mit 5,1 Millionen Euro. Doch auch andere Beträge sind Kämmerer Raimund Bader wichtig, etwa die 3,3 Millionen Euro Zinseinnahmen, die ja auch etwas über das Geld sagen, das die Gemeinde auf der hohen Kante hat. Ja, selbst die 20 000 Euro Hundesteuer findet der 55-jährige Kämmerer bemerkenswert. Baders Prinzip ist, nur Geld auszugeben, das man hat. "Man darf nicht zu viele Bäume fällen, nur die, die wieder nachwachsen." Als Bader 2003 Kämmerer wurde, war seine erste Amtshandlung, alle Kredite, welche die Gemeinde aufgenommen hatte, abzulösen.

"Natürlich muss man es sich erst mal leisten können, dreistellige Millionenbeträge auszugeben", sagt Bader. Grünwald kann das. Und damit kann es viele Projekte, über die anderswo ewig diskutiert wird, einfach und schnell verwirklichen. Die Geothermie. Ein Gymnasium. Das Haus der Begegnung für 39 Millionen Euro. Und Grünwald kann auch mal schnell eine Kanalisation für 140 000 Euro nach Wörnbrunn verlegen lassen, damit dort eine Traglufthalle für Flüchtlinge aufgestellt werden kann - geplant nur für den Fall, dass das eigentlich dafür vorgesehene Grundstück auf dem Gelände der Bavaria Film doch nicht zur Verfügung steht.

Ein stolzes Bürgerhaus kann Unterföhring vorweisen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die 8000 Grünwalder Unternehmen sind übrigens nicht alle wirtschaftlich so erfolgreich, dass sie Gewerbesteuer zahlen müssen. "Bei vielen ist der Gewerbesteuermessbetrag gleich null", sagt Bader. Dafür gebe es einige - genaue Zahlen verschweigt Bader ebenso wie Firmennamen -, bei denen "Millionenbeträge" rauskämen. Diese zahlen Steuer nach dem Grünwalder Hebesatz - 240 Prozent, einem der niedrigsten in Bayern, was viele Firmen anzieht - und so vermehrt sich das Geld auf den sechs Konten der Gemeinde verteilt über alle Grünwalder Banken. "Selbst wenn die Kosten für ein Projekt kurzfristig steigen, bin ich noch in der Komfortzone", sagt Bader. "Ich kann es aus den Rücklagen entnehmen." Diese betragen zur Zeit 350 Millionen Euro.

Noch mehr, nämlich fast 400 Millionen Euro, auf der hohen Kante hat Unterföhring. Johann Blank ist als Kämmerer der oberste Verwalter über einen Etat, der in der Region seinesgleichen sucht. Die knapp 11 000 Einwohner zählende Gemeinde bietet rund 18 000 Arbeitsplätze. Versicherungsunternehmen, TV-Sender und Filmfirmen sind in Unterföhring seit langer Zeit daheim - und "ermöglichen uns den Wohlstand", sagt Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (Parteifreie Wählerschaft Unterföhring). Die Kommune hat es einfach, das Geld. Und gibt es aus. Zwar nicht mit vollen Händen, weil man nicht weiß, was kommt, wie bei den Haushaltsberatungen jedes Jahr gemahnt wird.

Grünwalds Kämmerer Raimund Bader hat zuerst die Schulden abgebaut. (Foto: Schunk Claus)

Trotzdem leistet sich die Gemeinde im Münchner Nordosten einiges: Seit mehr als 30 Jahren müssen Familien in Unterföhring keinen Cent für die Betreuung ihrer Kleinen bezahlen. Egal ob Krippe, Kindergarten oder Hort. Dass Unterföhring prozentual von 2008 bis 2013 auch das höchste Einwohnerwachstum in ganz Deutschland hatte, nämlich 19,9 Prozent, hat vor allem mit diesem familienfreundlichen Angebot zu tun. Und das soll es auch weiterhin geben, wie der Bürgermeister erst vor ein paar Tagen versicherte, als Kämmerer Blank die neuesten Zahlen zur Haushaltsentwicklung präsentierte. 123 Millionen Euro an Gewerbesteuern hat die Medienkommune bereits in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 eingenommen. Geht es in dieser Größenordnung weiter, dann steht den Unterföhringern ein Rekordjahr ins Haus. "Dann haben wir Grünwald", sagt der Kämmerer nicht ohne Stolz.

50 Millionen Euro Gewerbesteuern wurden für das Gesamtjahr 2015 eingeplant. Jetzt ist es schon das mehr als Zweifache. Trotzdem kalkuliert man im Rathaus immer ganz vorsichtig. Man weiß ja nie. Nach der Kirch-Pleite 2002, als das Medien-Imperium, das auch in Unterföhring ansässig war, zerschlagen wurde, hatte die Gemeinde ein arges Loch im Säckel. Der Konzern blieb mit Gewerbesteuerzahlungen in der Schuld. Die Folgen: In Unterföhring mussten "viele Projekte in die Warteschleife", wie sich der damalige Rathauschef Franz Schwarz (SPD) erinnert. So wurde die Erweiterung des Sportzentrums verschoben, und auch bei Planung und Realisierung des Bürgerhauses "haben wir bremsen müssen". Durch die Einnahme-Ausfälle wurde in Unterföhring sogar über ein Thema diskutiert, das normalerweise ein Tabu ist, wenn es um Einsparungen geht: die Kostenfreiheit der Kindertagesstätten. Doch es blieb bei Diskussionen - die Gemeinde hielt an diesem "hohen Gut" fest.

Nachdem sich die Wirtschaftslage erholt hatte, wurde in Unterföhring wieder kräftig investiert: Die Kommune baute sich einen hochmodernen Bahnhof, ließ die S-Bahn in einem Tunnel verschwinden, baute Wohnungen mit erschwinglichen Mieten für ihre Bürger, investierte bislang 60 Millionen Euro in die Geothermie, leistete sich ein mehr als 30 Millionen Euro teures Bürgerhaus, erweiterte das Schulhaus und ist jetzt drauf und dran, ein modernes Gymnasium zu errichten. Goldene Wasserhähne aber werden nicht verbaut, Protz wird in Unterföhring nicht goutiert.

Jetzt hoffen die Unterföhringer nach den Worten ihres Bürgermeisters darauf, dass das Zinsniveau wieder steigt: Denn nur dann sind die Rücklagen kein totes Kapital. In der Vergangenheit, als die Zinsen nicht gegen null gingen, haben die Guthaben so viel abgeworfen, dass Unterföhring damit die laufenden Ausgaben decken und auch so manches darüber hinaus bezahlen konnte.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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