Gefahren und Rätsel:Ich will hier raus!

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Auf den ersten Blick sieht der Escape-Room in Ottobrunn völlig normal aus. Spielchef Paul Karrés rät nur: "Einfach mal um die Ecke denken." (Foto: Angelika Bardehle)

Alleine geht bei Live-Escape-Games gar nichts: In München boomen Rollenspiele, bei denen eine Gruppe 60 Minuten Zeit hat, gemeinsam aus einem Raum zu fliehen

Von Magdalena Mock

Unbarmherzig verstreichen die letzten Sekunden. 30. . . 29. . . 28. . . Das Ermittlerteam schwitzt. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel! Wenn das Sondereinsatzkommando das Rätsel in der Wohnung des Verdächtigen nicht rechtzeitig löst, droht eine Katastrophe.

Was wie der Anfang eines spannenden Films klingt, können die Teilnehmer des Live-Escape-Games von "One Hour Left" in Ottobrunn am eigenen Leib erfahren. Seit einem guten halben Jahr bieten Paul Karré und sein Team diese Art von modernem Rollenspiel an. Klassischerweise geht es bei Live-Escape-Games oder auch Room-Escape-Games darum, dass sich zwei bis sechs Spieler - mitunter auch mehr - in einen Raum einsperren lassen, um sich dann wieder daraus zu befreien. Dazu müssen Rätsel gelöst, versteckte Mechanismen aktiviert, Codes geknackt und schließlich der Schlüssel gefunden werden. Meist ist das Ganze mit einer Mission verknüpft.

Das Szenario in Ottobrunn: Ein Mann bedroht den Münchner Flughafen mit einem Anschlag. Die Spieler sind als Ermittler in der Wohnung des Verbrechers und haben genau eine Stunde Zeit, das Attentat zu verhindern. Das ist ihre Aufgabe, mehr Informationen bekommen sie nicht. Anders als in der Hintergrundgeschichte ist der eigentliche Gegner im Spiel kein gefährlicher Krimineller, sondern die Zeit. Denn die Rätsel sind nicht nur knifflig, sondern auch gut versteckt.

Betritt man den Escape-Room in der Jägerstraße 10, ist vor allem eins auffällig: Er sieht vollkommen normal aus. Die Spieler, zwei Väter mit ihren drei zwölf- bis 14-jährigen Jungs, sehen sich um. Die Skepsis steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Das soll jetzt was Besonderes sein? Doch halt, da hängt doch was Komisches an der Wand, oder? Sieht vielversprechend aus. Schon mal unters Sofa geschaut? Die Neugier ist geweckt. Aus Vätern und Söhnen wird ein Ermittlerteam, das sofort ausschwärmt und alles genau unter die Lupe nimmt. Jedes noch so unwichtige Detail kann einen Hinweis enthalten. Nicht lange und einer der Jungen hat etwas entdeckt: "Hier, ich hab' was gefunden!", ruft er aufgeregt und wedelt mit einem grünen Metallstab. Nur, was damit anstellen? Die Rätseljagd geht weiter.

Karré und seine Mitarbeiter haben den Raum so konzipiert, dass es für alle Altersklassen etwas zu tun gibt. Auf keinen Fall soll jemand frustriert werden. "Oft ist es sogar so, dass Kinder ihren Eltern richtig helfen können. Sie haben eine andere Perspektive auf die Dinge und sind unvoreingenommener", bemerkt Karré. Bei One Our Left spielen sehr unterschiedliche Gruppen. Die meisten Kunden sind Privatleute: Jungesellinnen-Abschiede, Familien, Paare, Freunde. Auch die Altersspanne ist groß: Der älteste Teilnehmer war 85 Jahre alt, die jüngsten zwischen sechs und acht. Selbst große Firmen wie McKinsey und Airbus lassen ihre Mitarbeiter gern einschließen. Freiwillig, versteht sich. Der Escape-Room als Assessment-Center der etwas anderen Art. Experimentierfreude, Delegation von Aufgaben und Ausbildung von Führungskompetenzen sind Eigenschaften, die spielerisch überprüft und verbessert werden können. Und Teamwork. Denn eines ist klar: Egal ob mit der Oma, dem Partner, ob mit Freuden oder Kollegen - weiter kommt man nur gemeinsam. Einzelkämpfer und Alphatiere haben von vornherein verloren. "Kommunikation und kreatives Denken sind das Wichtigste", weiß Karré aus Erfahrung.

Das Spielerteam in Ottobrunn hat sich unterdessen in eine Sackgasse manövriert. Viele Puzzlestücke haben die Jungen und ihre Väter gefunden, aber von deren Zusammensetzung sind sie noch weit entfernt. Jeder sucht hektisch vor sich hin, es fehlt die Koordination. Da knackt das Radio im Zimmer: "Achtung, eine Sondermeldung!" Der Spielleiter, der das Geschehen per Kamera überwacht, greift ein und gibt über Lautsprecher Hilfestellung. "Schon mal an die Farben gedacht?" Nein, auf die Idee waren die Spieler noch gar nicht gekommen. Fieberhaft überlegen sie, wie sie die neue Information verwerten können. Gemeinsam. Sie sind wieder auf der Spur.

Das Spielprinzip von Escape-Games kommt eigentlich aus dem Bereich Computerspiele. Den Sprung in die reale Welt schaffte das Konzept 2007 in Japan. Seitdem breitet sich der Trend rasend aus. Über Budapest, der europäischen Hauptstadt der Escape-Games, gelangte er 2013 nach Deutschland. Seitdem haben bundesweit 92 Fluchtspiele eröffnet, davon 59 allein im Jahr 2015. Auch in München boomt das Geschäft mit dem Fluchtinstinkt. Als sich das Team von One Hour Left Anfang 2014 gründete, gab es in der bayerischen Hauptstadt gerade zwei andere Anbieter. Mittlerweile sind es acht. Ihr thematisches Angebot reicht von Horror und Mystery bis hinzu Nostalgie. Einige Münchner Escape-Rooms sind Franchiseunternehmen. Viele setzen jedoch wie One Hour Left auf eigene Ideen und Münchenbezug. "Das ist alles auf unserem Mist gewachsen", sagt Karré stolz. Die Rätsel, die Geschichte, das Konzept für die Räume - alles Marke Eigenbau. Sogar die Möbel haben er und seine Mitarbeiter, die sich teilweise noch aus Schulzeiten kennen, in mühevoller Kleinarbeit umfunktioniert. "Wir wollten das Genre Escape-Games auf ein neues Level bringen. Mit vielen technischen Spielereien und einer packenden Hintergrundstory."

Aber rentiert sich der ganze Aufwand trotz allem Hype überhaupt? Einmal gespielt, kennt man doch die Geheimnisse und Kniffe des Raumes und der Reiz ist dahin, oder? "Jein", sagt Karré. "Man kann sich das ein bisschen vorstellen wie bei einem Kinofilm: Die meisten gehen nur einmal rein, manche sind aber so begeistert, dass sie auch beim zweiten Besuch wieder sehr viel Spaß haben. Auf jeden Fall sind die Leute hinterher angefixt. Vielleicht spielen sie das nächste Mal einfach einen anderen Raum."

Das können die drei Jungs und ihre Väter bestätigen. Es war spannend bis zum letzten Moment. 27 Sekunden vor Ablauf der Stunde ist ihnen die Mission geglückt. Als sich unter dem Applaus der Mitarbeiter die Tür zum Escape-Room öffnet, wirken sie erschöpft und sehr zufrieden. Sie wollen wiederkommen. "Das war super!", ruft einer der Jungen. "Ein Krimi, im wahrsten Sinne des Wortes."

Einen Überblick über die Anbieter in München gibt es auf der Seite www.live-escape-games.de

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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