Gedenktafel:Kurze Erinnerung

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Peter Jordan gedenkt mit Frau Dorothy seiner ermordeten Eltern. (Foto: Robert Haas)

Erste Stolpersteine kehren für einen Tag nach München zurück

Von Martin Bernstein

"Und aus Meerrausch und Sonnenglast spann sich ihm ein reizendes Bild." Eine Gedenktafel in der Mauerkircherstraße 13 erinnert an einen der ersten Mieter des 1910 gebauten Hauses: Thomas Mann lebte dreieinhalb Jahre dort und schrieb seine Novelle "Der Tod in Venedig". An zwei andere Bewohner des Jugendstilgebäudes erinnert am Ort nichts. Oder genauer: nichts mehr. Denn im Mai und Juni 2004 war mit zwei Plaketten im Gehsteig des jüdischen Kunsthändlerehepaars Paula und Siegfried Jordan gedacht worden. 15 Jahre lang hatte die Familie in dem Haus gelebt - am 25. November 1941 wurden Paula und Siegfried Jordan nach ihrer Deportation bei Kaunas in Litauen ermordet.

Peter Jordan, der Sohn, hat überlebt. An diesem Sonntag, mehr als 75 Jahre nach der Ermordung seiner Eltern, steht er zusammen mit seiner Frau Dorothy im Hauseingang. Familienangehörige sind aus England mitgekommen, Freunde der Familie sind da, Mitglieder der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom, Aktivisten der Initiative "Stolpersteine für München". Sie hören, wie Kantor Nikola David das Kaddisch, das jüdische Totengebet, vorträgt. Sie sehen, wie Jordan, inzwischen 93 Jahre alt, ans Mikrofon tritt und tief bewegt seinen Eltern dankt. Und sie sehen die Bilder von Paula und Siegfried Jordan - und davor die beiden Messingplatten mit ihren Namen und Lebensdaten. "Stolpersteine" hat der Künstler Gunter Demnig diese Erinnerungsform genannt. Auf Initiative zweier Schülerinnen des Luisengymnasiums hat Demnig die beiden Gedenksteine im Frühjahr 2004 vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Jordan ins Pflaster eingesetzt. Es waren die ersten Stolpersteine in München. Für Peter Jordan war es einer der wichtigsten Tage in seinem Leben.

1939 hatte Peter Jordan sich von seinen Eltern verabschiedet. Es war ein Abschied für immer. Mit Hilfe von Verwandten floh Jordan nach London, er war gerade 15. Seine Eltern blieben. Und wurden ermordet. Die Gedenktafeln zu ihrer Erinnerung ließ die Stadt nur wenige Wochen nach ihrer Verlegung wieder ausgraben. Peter Jordan in England wurde damals nicht einmal informiert. Inzwischen zeigt das Bonner Haus der Geschichte die beiden Münchner Stolpersteine. Als Beispiel dafür, wie schwer sich Deutschland noch immer mit dem Erinnern tut. "Sehr lange hat die Stadt München mir meinen Herzenswunsch verwehrt: die Verlegung von Stolpersteinen für meine Eltern vor unserem Wohnhaus", sagt Peter Jordan. "Deswegen nun mein Wunsch als alter Mann, die Stolpersteine - sei es nur für einige Momente - vor dem Haus zu sehen." Denn in München ist es weiterhin verboten, Stolpersteine auf öffentlichem Grund zu verlegen. Am 27. Juni wollen Aktivisten 40 Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer setzen. Auf privatem Grund. Dann wird es in München mehr als 70 dieser Plaketten geben, die Menschen zum Innehalten und Nachdenken bewegen sollen. Irgendwann, glaubt Peter Jordan, werden auch vor der Mauerkircherstraße 13 Stolpersteine an seine Eltern erinnern: "Das ist meine feste Hoffnung."

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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