Zeitgespräch:Bunte Gesellschaft

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Willi Dräxler, Integrationsreferent im Brucker Stadtrat, stellte Beispiele für gelungene Integration vor. (Foto: Günther Reger)

Bei den Zeitgesprächen in der Brucker Erlöserkirche stellen sich integrierte Zuwanderer vor

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Willi Dräxler hatte für das Brucker Zeitgespräch im Pfarrsaal der Erlöserkirche zum Thema Integration gleich sieben Podiumsdiskutanten aufgeboten. Der Integrationsreferent des Brucker Stadtrats und Caritas-Migrationsreferent präsentierte den 40 Besuchern eine bemerkenswerte Vielfalt an Zuwanderern. Die meisten von ihnen waren schon vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen und konnten von einer eher geglückten Integration in die deutsche Gesellschaft berichten.

Nur Alaa Shahin fiel aus diesem Muster heraus. Die 20-jährige Frau kam vor eineinhalb Jahren nach Deutschland. Sie ist Syrerin und trägt ein Kopftuch. Sie kommt aus der vom Krieg weitgehend zerstörten Stadt Homs und lebte 13 Jahre in Libyen, ehe sie von dort mit ihrer Familie nach Deutschland kam. In Libyen hatte sie angefangen, Zahnmedizin zu studieren. Das kann sie hier nicht fortsetzen. Neun Monate lebte sie im Erstaufnahmelager im Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst. "Wir mussten uns die Küche und die Toiletten mit 800 Leuten teilen. Privatsphäre gab es nicht. Das war schon schwer", erzählt Alaa in erstaunlich gutem Deutsch, das sie in der kurzen Zeit gelernt hat. Die anderen, die Dräxler um sich geschart hat und die über ihren Werdegang berichten, sprechen alle prima Deutsch.

Bei Latif Sarac ist das kein Wunder. Der 25-jährige Student der Elektrotechnik ist in Dachau geboren und hat am Brucker Graf-Rasso-Gymnasium sein Abitur gemacht. Latif ist deutscher und türkischer Staatsbürger. Er hatte 1998 eine Gesetzeslücke genutzt und hat die doppelte Staatsbürgerschaft. "Ich bin Deutscher, Bayer mit Wurzeln in der Türkei", beschreibt er sein Dasein. Er sieht sich als deutscher Türke in der dritten Generation, weil schon seit Opa in den Siebzigerjahren einwanderte. Dazu gehört auch, dass er in der Brucker Mevlana-Moschee mitarbeitet und dort für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist. Bei Jeanne-Marie Sindani würde niemand sofort oder später darauf kommen, dass sie Mitglied der CSU ist. Die Afrikanerin aus dem Kongo ist sogar stellvertretende Vorsitzende der Frauenunion am Ort und hat auf der CSU-Liste für den Brucker Stadtrat kandidiert. Seit 1988 ist sie in Deutschland; auch sie arbeitet zurzeit für die Caritas am Fliegerhorst. Für Sindani hat Kanzlerin Angela Merkels "Wir-schaffen-das"-Botschaft sehr viel bewirkt: "Dadurch sind viele Ehrenamtliche zum Helfen gekommen." Das "Wir" bedeute für sie aber auch: "Die Flüchtlinge müssen sich auch beteiligen."

Praktische Integration betreibt Günter Eichinger als Vorsitzender des Fußballvereins TSV Fürstenfeldbruck-West seit 20 Jahren, als noch niemand mit dem Begriff etwas anfangen konnte. "Momentan spielen Menschen aus 30 Nationen bei uns Fußball - demnächst sind es 31, weil der erste Österreicher dazu kommt." Da amüsiert sich der Saal prächtig. Auch bei der nächsten Erzählung Eichingers. Im West-Vereinsheim managt er auch den Grill. "Auf der einen Seite liegt Schwein, auf der anderen Rind und Pute", berichtet er, wie er seine unterschiedlichen Gäste bedient. Für das Grillgut verwendet er zwei verschiedene Zangen. Manchmal komme er dabei auch durcheinander. Eichinger: "Das ist richtiger Stress."

Auch Carina Huamani, die vor elf Jahren als Aupair-Mädchen aus Peru nach Deutschland kam, scheint prächtig integriert zu sein. Zwei Jahre brauchte sie, um einigermaßen Deutsch zu können. Jetzt ist sie Fremdsprachendozentin an der Volkshochschule in Olching und Bruck. Inzwischen hat sie einen Deutschen geheiratet und zwei Kinder bekommen. Mit ihnen spricht sie Spanisch. "Draußen brauche ich aber die deutsche Sprache", sagt Carina Huamani. Die Sprache habe ihr "die Tür geöffnet", bekräftigt sie noch einmal, "zu Freunden, zur Bildung und schließlich zur Liebe".

Deutsch spricht José Ndombolozi aus Angola auch schon längst. Er kam vor 30 Jahren, konnte aber nicht in seinem erlernten Beruf als Lehrer arbeiten und wurde Konstruktionstechniker. Mit der deutschen Sprache hat auch Jamal Farani kein Problem mehr. Seit 1981 ist er in Deutschland. Er ist Deutscher und Afghane. Einst machte er eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. Dräxler stellte ihn als "Siemensianer" vor. Farani kritisierte die Haltung von Innenminister Thomas de Maizière, der Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt hat. "Wenn Afghanistan sicher ist, wo ist es dann unsicher?", fragte Farani in die Runde. Niemand verlasse seine Heimat freiwillig. "Ich bin ein Brucker, ein Deutscher, habe aber immer noch Sehnsucht nach Afghanistan.

Dräxler kam auch auf den Rassismus in der deutschen Gesellschaft zu sprechen. Eichinger erzählte von Beschimpfungen, als er vor einigen Jahren mit seinen 13-jährigen Fußballern aufs Land fuhr. Es hieß: "Die Kanaken kommen", erzählt er. Das habe sich verbessert, nicht nur weil die "Kanaken" häufig gewannen, auch weil die Vereine bei rassistischen Ausfällen ihrer Zuschauer saftige Strafen zahlen müssten. "Rassismus tötet die Kinder", schaltet sich die Kongolesin Sindani ins Gespräch ein. "Das ist eine giftige Waffe gegen Integration." Ihr Sohn habe das erlebt. Deshalb ist sie mit ihm während der Schulzeit für sechs Jahre nach Kanada ausgewichen. "Dort ist die Gesellschaft bunt", so Sindani und die Hautfarbe spiele keine Rolle.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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