SZ-Serie: "Älter werden, alt sein", Folge 8:Mehr als nur eine warme Mahlzeit

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Wolfgang Krause (rechts) bringt einem seiner Kunden in Germering das Mittagessen. Es wird nicht einfach nur an der Haustüre übergeben, sondern in der Küche serviert. Und wenn genug Zeit ist, kann sich Krause mit dem alten Herrn auch noch unterhalten. (Foto: Johannes Simon)

Vorwiegend ältere Menschen bestellen sich ihr Mittagessen bei den Sozialdiensten. Die Überbringer liefern nicht einfach nur aus, sondern sind meist auch die einzigen Personen am Tag, mit denen die Kunden in Kontakt kommen

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Es ist kurz nach 10 Uhr morgens, Adolf Meier (Name von der Redaktion geändert) erwartet sein Mittagessen. Er hat Kaiserschmarrn mit Apfelmus beim Germeringer Sozialdienst bestellt. "Ich mag Mehlspeisen", sagt der 93-Jährige. Es dauert nur zwei Minuten, dann klingelt auch schon Wolfgang Krause, der das "Essen auf Rädern" an diesem Freitag ausfährt. Krause hat es heute eilig. Deshalb gibt es nur eine kurze Begrüßung, er stellt Adolf Meier das Essen in einer Styroporbox auf den Tisch. Meiers Sohn Hans ist da. Er reicht seinem Vater einen Teller und füllt ihm einen Teil der großzügig bemessenen Portion auf den Teller. Der Vater ist früh aufgestanden, hat Hunger und beginnt um halb elf mit dem Mittagessen. Der Kaiserschmarrn schmeckt ihm, das sieht man.

80 bis 90 Essen werden vom Germeringer Sozialdienst täglich ausgeliefert. "Insgesamt haben wir 150 Kunden in der Kartei", erklärt Sabine Brügel-Fritzen, Geschäftsleiterin des Sozialdienstes. Manche Kunden würden nur ein-, zweimal die Woche das Mittagsessen bestellen. Im vergangenen Jahr habe "Essen auf Rädern" 21 400 Essen ausgefahren. Diese Einrichtung ist Teil der ambulanten sozialen Dienste. Dazu gehört der große Bereich der ambulanten Pflege oder die stundenweise Betreuung für Menschen zu Hause mit und ohne Demenz, aber auch Alltagsbegleitung beim Kochen oder beim Wäschewaschen.

Seit 1970 hat der Germeringer Sozialdienst Essen auf Rädern im Programm. Damals wurden jedoch nur wenige Portionen über ein örtliches Hotel ausgeliefert. Ein Jahr später bekamen die Kunden Tiefkühlkost. Seit 2001 liefert der Sozialdienst auch warmes Essen aus. Zehn Fahrer sind im Wechsel für die Auslieferung im Einsatz - an allen sieben Tagen der Woche.

Wolfgang Krause hat an diesem Freitag mit 33 Essen mehr als sonst auszuliefern. Es ist gerade Urlaubszeit, da ist Personal knapp. Seit zwei Jahren ist Krause für den Germeringer Sozialdienst unterwegs. "Ich bin Rentner und wollte Menschen helfen", sagt der 69 Jahre alte Germeringer zu seiner Motivation, ehrenamtlich für den Sozialdienst tätig zu sein. Beruflich hat er 46 Jahre als technischer Angestellter gearbeitet. Er beliefert ältere Menschen zwischen 75 und 95 Jahren. "Ich muss immer pünktlich sein", erzählt Krause, "sonst werden die Menschen unruhig und rufen beim Sozialdienst an." Manchmal komme es vor, dass die Menschen sein Klingeln nicht hören, wenn sie gerade telefonieren oder anders abgelenkt sind. Dann muss er wiederkommen. Unbedingt. "Es kann ja auch etwas passiert sein", so Krause. Häufig ist es so, dass er die einzige Person ist, die den ganzen Tag über vorbeikommt.

Beim Sozialdienst Nachbarschaftshilfe in Puchheim geht der ambulante Dienst Essen auf Rädern auf das Jahr 1979 zurück. "Das war eines unserer ersten Angebote", berichtet Geschäftsführerin Marianne Schuon. Heute bedient die Nachbarschaftshilfe 25 bis 30 Bezieher täglich. Schuon: "Das sind in der Regel ältere Menschen, aber auch eine schwangere Mutter ist schon mal dabei." Geliefert wird von Montag bis Samstag Tiefkühlkost, eine Fertigmahlzeit zum Warmmachen. "Wir fangen um 11.30 Uhr mit der Tour an und dann geht's bis 13.30 Uhr", erläutert die Geschäftsführerin. Geliefert wird nur eine Hauptmahlzeit, die 7,20 Euro kostet; wahlweise wird auch ein Wochenpaket für 37 Euro mit sieben Tiefkühlmahlzeiten angeboten. 33 Jahre lang hat Ingeborg Sedlmayr das Puchheimer Essen auf Rädern im Team mit betreut. In diesem Jahr ist sie aus Altersgründen ausgeschieden. Jetzt leitet Gisela Masius das Ressort. Acht ehrenamtliche Fahrer, ein lange bestehende Gruppe älterer Menschen, bringen das Essen gegen eine kleine Aufwandsentschädigung zu den Beziehern.

Ein Fazit ist, dass ohne ehrenamtliche Mitarbeiter, die das Essen vorbereiten und ausliefern, die Sozialdienste das Essen nicht zu den günstigen Preisen anliefern könnten. Der personelle Aufwand wird auch immer größer. "Wir möchten unser Angebot so kundenorientiert und flexibel wie möglich gestalten", betont Brügel-Fritzen vom Germeringer Sozialdienst. "Das ist der Charme dieses Essens." Das bedeute aber auch, dass die Verwaltungsarbeit zunehme. Kurzfristiges Abbestellen und Umbestellen des Essens bringe es mit sich, dass das Telefon morgens im Sozialdienst permanent klingele. "Die Menschen nutzen diese Flexibilität", so Brügel-Fritzen. Würde man alle Verwaltungskosten in das Essen auf Rädern einrechnen, käme natürlich ein Defizit heraus. Die Geschäftsleiterin stellt aber klar: "Dafür sind wir ein Sozialdienst und kein Wirtschaftsunternehmen."

Ein wichtiger Faktor, den alle sozialen Einrichtungen mitliefern, ist die Kommunikation mit den zumeist älteren Menschen. "Sie sind auch froh, jemanden zum Reden zu haben", so Geschäftsführerin Schuon aus Puchheim. "Ist jemand krank, kann sofort ein Krankenpfleger oder ein Arzt benachrichtigt werden." Das sieht Juliane Gallasch, die beim Ökumenischen Sozialdienst Gröbenzell das Essen auf Rädern organisiert, ganz ähnlich. Auch dort würden die Fahrer immer den Zustand der älteren Menschen im Blick haben.

In Gröbenzell werden pro Tag 30 bis 40 Bezieher beliefert. "Wir machen das in zwei Touren und richten uns nach den Wünschen der Kunden", erzählt Gallasch. Frühaufsteher bekämen das Essen ab kurz nach elf Uhr, andere später. Es gibt wie in Puchheim nur ein Essen, eine Fertigmahlzeit, die aufgewärmt werden muss und 7,30 kostet. Die Essen werden von drei Frauen vorbereitet und von vier Fahrern ausgeliefert. "Das sind ältere Herren, die das umsonst machen", berichtet Gallasch. Auch die Gröbenzeller Bezieher schätzen besonders die Flexibilität des dortigen Sozialdienstes, können sie doch am Morgen ihr Mittagessen auch noch abbestellen.

Ein großer Player in Sachen Essen auf Rädern ist ein Unternehmen aus Unterfranken mit 155 Millionen Euro Jahresumsatz, das sich auf Frischtiefkühlkost spezialisiert. Das Essen wird tiefgekühlt angeliefert und bei Bedarf morgens in den von der Firma bereitgestellten Öfen aufgewärmt und dann den Kunden in Styroporbehältern vorbeigebracht, so wie der Kaiserschmarrn zu Adolf Meier in Germering. "Ich bin mit dem Essen sehr zufrieden", sagt er. Seit eineinhalb Jahren hat er Probleme mit beiden Knien und kann nicht mehr allein außer Haus gehen. Besonders gefällt dem älteren Herrn, dass er täglich aus drei Gerichten auswählen kann. Rindergulasch oder ein Fischgericht wären an diesem Tag auch noch möglich gewesen.

Die Caritas in Fürstenfeldbruck hat einen anderen Lieferanten. Sie bringt ihren Beziehern frisch gekochtes Essen aus dem Krankenhaus warm auf Porzellangeschirr vorbei. Dort wird ein Drei-Gang-Menü für 9,80 Euro mit Suppe und Nachspeise zur Verfügung gestellt. "Tellerfleisch mit Gemüse und Salzkartoffeln, Milchreis mit heißen Schattenmorellen oder für Vegetarier eine Gemüsepfanne mit Salat", liest Theresa Ihle von der Caritas den Speiseplan eines Wochentages vor. "Dazu gibt es als Suppe eine Hühnerbrühe mit Nudeln oder für Vegetarier alternativ eine Gemüsebrühe mit Nudeln." Alle bekommen einen Heidelbeerjoghurt zum Nachtisch. 92 Kunden hat die Caritas auf ihrer Liste. Sie liefert auch nach Grafrath, Emmering, Kottgeisering oder Adelshofen aus. Wegen der Fahrtstrecke kostet das Essen 1,50 Euro pro Mahlzeit mehr.

Auch in Germering wird ein warm gemachtes Essen von der Firma aus Unterfranken ausgeliefert, allerdings nur eine Hauptmahlzeit für 8,50 Euro. Einbezogen ins Essen auf Rädern hat man auch ein Wirtshaus in Neugermering. Dort wird eine Hauptmahlzeit mit Suppe und Salat für 11,50 Euro gekocht, allerdings steht nicht vorher fest, welches Essen es gibt. Etwa 27 Wirtshausessen bestellen die Kunden. Die Tendenz bei Essen auf Rädern ist steigend. "Die Menschen werden immer älter und bleiben solange wie möglich zuhause", resümiert Brügel-Fritzen. Die Kunden schauen auch auf die Essensqualität. Tiefkühlkost, die von einem Anbieter zumeist in einem Sieben-Tage-Paket angeboten wird, sei rückläufig. Keineswegs rückläufig ist das Engagement der ehrenamtlichen Helfer. "Ich sehe es an ihren Augen, dann nehme ich mir die Zeit zum Reden", sagt Wolfgang Krause. Dann serviere er dem älteren Menschen auch das Essen und setzt sich dazu. Krause: "Ohne Empathie kriegt man die Aufgabe nicht hin."

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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