Subkultur-Open-Air:Zwischen Abhängen und Ekstase

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Etwa 1000 Besucher kommen am Wochenende zum Subkultur-Open-Air im alten Schlachthof. Die Stimmung ist ausgelassen und zwischen die vielen jungen Menschen mischen sich auch immer wieder ältere Gäste

Von Katharina Knaut, Fürstenfeldbruck

Die Sonne geht unter, die Lichter auf der Bühne gehen an. Zunächst erklingt ein leiser Akkord auf der Gitarre. Es folgen ein paar Zeilen, mit rauchiger Stimme ins Mikrofon gesungen. Dann setzt das Schlagzeug ein, der Bass wummert aus den Lautsprechern, die zuvor ruhige Stimme steigert sich zum Crescendo. Es ist 21.30 Uhr und im alten Schlachthof ist der letzte Auftritt des zwanzigsten Open-Air-Festivals der Subkultur in vollem Gange. Rund 300 Menschen haben sich am zweiten Veranstaltungsabend versammelt und lauschen der Musik der Headliner-Band "Marathonmann". Etwa ein Dutzend Besucher sind über die Hardcore Musik in einen ekstase-ähnlichen Zustand verfallen und springen wild tanzend auf der Fläche vor der Bühne umher. Die Stimmung ist ausgelassen, die Menge in Feierlaune.

Ein paar Stunden zuvor war das Bild noch ein anderes. Am Nachmittag, nicht lange nach Beginn des Festivals, herrscht eher eine gemütlich-träge Stimmung. Die große Bühne ist bis auf Weiteres verwaist, ebenso wie die asphaltierte Fläche davor. Um die Musik kümmert sich momentan noch der Einlass-DJ. Die rund 30 Anwesenden haben sich so gut es geht in den Schatten geflüchtet. Sie stehen am Rand in Grüppchen zusammen, oder rekeln sich in den breiten Ledersesseln, die um die Fläche verteilt wurden und die aussehen wie aus Großvaters Zeiten. Dazwischen verstreut stehen einige moderne Würfelhocker. Der Dresscode: Sonnenbrille, kurze Hose und ein möglichst luftiges Oberteil, das manche Männer gleich ganz weggelassen haben. Hin und wieder treffen Neuankömmlinge ein, die mit großem Hallo begrüßt werden. Im Großen und Ganzen wirkt die Szene mehr wie ein Klassentreffen einiger Studenten als ein Open-Air-Festival, das noch dazu 20. Jubiläum feiert.

Ganz falsch ist dieser Eindruck laut Max Spieler, Mitglied im Vorstand der Subkultur, nicht. Das Festival sei tatsächlich eine Art Klassentreffen. Viele Leute, die früher mitwirkten und mittlerweile woanders wohnen, sehe man zu diesem Event wieder, manche kämen sogar aus Berlin. Daran hat sich beim 20. Jubiläum nichts geändert. Ein paar Besonderheiten gibt es trotzdem. In einer Nische steht ein kleines Bällebad und im hinteren Teil des Hofes haben die Mitglieder der Subkultur ein Schiff gebaut, in dem Pfefferminzspezialitäten verkauft werden. Ansonsten geht es wie immer um "Gute Laune, feiern und Spaß haben", wie Spieler betont.

Und natürlich um Musik. Allein am Samstag spielen sieben Bands der unterschiedlichsten Musikrichtungen. Die Mitglieder der Gruppe "0190 Schaumfleisch" erklären in flottem Rap "wie schwer es ist, Nutten auf den Strich zu schicken" und der Sänger der Folk-Rock Band "The Red Aerostat" präsentiert einen Song, den sie erst zum zweiten Mal spielen und der so neu ist, dass er noch nicht mal einen Titel hat.

Ein Highlight an diesem Tag ist die Künstlerin Lena Britzelmair, die unter dem Namen "Rey Lenon" auftritt. Zusammen mit den DJs "Baal" startete sie vor kurzem ein Projekt, das sie nun in Fürstenfeldbruck aufführt. Schon beim Soundcheck präsentiert die zierliche Sängerin eine überraschend kräftige Stimme, die mit der zusammengemixten Musik von "Baal" in eine mystische Welt entführt. Beim Lied "Modern Witches" erwartet man fast schon, dass im nächsten Moment Hexen über die Bühne fliegen.

Chillen auf einem der alten Sofas: Das Festival hat für die Besucher weitaus mehr zu bieten als nur Musik. (Foto: Johannes Simon)

Der Headliner des Abends ist laut Jannik Heinzelmann, dem Vorsitzenden des Vereins, aber die Band "Marathonmann" aus München. Die Gruppe beschließt den Abend mit lauten Gitarren, hämmerndem Schlagzeug und einem Bass, der die Wände zum Wackeln bringt. So kommen die mittlerweile fast 400 Leute noch einmal richtig in Stimmung. Für sie ist es das letzte Festival der Saison und sie sind offensichtlich bestrebt, es so furios wie möglich zu beenden. Abgesehen vom Schlagzeuger springen die Mitglieder der Gruppe wild auf der Bühne umher und entlocken ihren Instrumenten ungeahnte Töne. Die Anstrengungen zahlen sich aus. Nach jedem Song wird eifrig Beifall gespendet und am Schluss verlangen die Zuhörer eine Zugabe. Danach geht es beinahe nahtlos weiter in die Aftershowparty über, bei der "FunkYaMind" bis in die frühen Morgenstunden im inneren des Schlachthofs Techno auflegt.

"Es ist jedes Jahr super", meint der 21-jährige Daniel Stupar aus Fürstenfeldbruck. Er ist Mitglied der Subkultur und seit drei Jahren bei den Open-Air-Festivals dabei. "Es ist einfach entspannt, nicht so wie bei den großen Festivals, bei denen man die ganze Zeit von Band zu Band läuft." Hier habe man die Möglichkeit, einfach die Musik zu genießen.

Obwohl die Veranstaltung vor allem junge Besucher anzieht, kann man sie als generationenübergreifend bezeichnen. Immer wieder sieht man auch ältere Gäste mit neugierigen Gesichtern durch den Eingang kommen. "Es war eine spontane Entscheidung", erklärt ein Ehepaar. "Wir sind zufällig vorbeigelaufen, haben die Musik gehört und dachten uns: Das schauen wir uns an." Sie seien zwar erst ein paar Minuten hier, aber der erste Eindruck sei sehr gut.

Besucher können im Bälle-Bad abtauchen, das etwas versteckt vor einem der Eingänge des Gebäudes aufgebaut wurde. (Foto: Johannes Simon)

"Die meisten hier kennen sich untereinander, aber es trauen sich auch andere Leute rein", erklärt Heinzelmann. "Dafür sind wir da." Dass auch ältere Besucher vorbei schauen, sei nichts Ungewöhnliches. "Am Freitag kam sogar eine 84-jährige Frau, die beim Spazierengehen die Musik gehört hat. Sie ist dann vier Stunden geblieben." Er ist mit dem Wochenende sehr zufrieden. Insgesamt etwa 1000 Menschen wohnten dem Festival bei. Das seien mehr als letztes Jahr. Als ungewöhnlich bezeichnet Heinzelmann, dass am Freitag mehr Besucher kamen als am Samstag. "Normalerweise ist es anders herum, aber wir freuen uns natürlich auch so."

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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