Streik:Im Ausnahmetakt

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Pendler und Schüler machen am Donnerstag die Erfahrung, dass die tägliche Routine durch den Lokführer-Streik nicht mehr gilt. Beim Lesen der Fahrpläne ist Expertenwissen und auf den Straßen viel Geduld gefragt

Der Lokführerstreik der GDL hat sich am Donnerstag vor allem auf Pendler und Schüler ausgewirkt. Sie erreichten ihre Ziele in der Früh oft nur verspätet. Auf den drei S-Bahnlinien versuchte die Bahn einen Stundentakt zu ermöglichen und konnte zwischendurch sogar Züge in kürzeren Abständen einsetzen. Wer ein Auto benutzte, konnte auch Pech haben, denn die Straßen waren durch hohes Verkehrsaufkommen stark belasteten und durch Unfälle blockiert.

Pendler nach München

Am Olchinger Bahnhof stehen am Donnerstagmorgen viele Pendler, die nach München wollen. Sie warten frierend auf eine S-Bahn. Der angehende Erzieher Frederick fährt normalerweise täglich um sieben Uhr nach München. An diesem Tag jedoch waren die Busse zur Bahn so voll, dass er nicht mehr hineinpasste. So musste er warten und konnte sich letztendlich erst zwei Stunden später auf den Weg machen. Ein anderes Problem hatte eine 64-jährige Buchhalterin. Ihre Fahrkarte gilt erst von neun Uhr an, und da die Bahnen während des Streiks nur im Stundentakt fahren, wird sie an diesem Morgen 45 Minuten zu spät kommen. "Früher zu fahren, habe ich mich nicht getraut." Eine Frau steht mit einem kleinen Koffer am Bahnhof. Sie meint die Tarifparteien und sagt: "Es ist nur traurig, dass die Machthaber da oben nicht miteinander reden können." Die 47-jährige hat sich zuvor ausgiebig im Internet über die Fahrtzeiten informiert und sich mit den Kollegen in der Bahn abgesprochen. Die Nacht auf Freitag verbringt sie in München: "Dann habe ich morgen früh keinen Stress."

Für eine andere Pendlerin ist der Streik kein Problem, aber nur, weil die stündliche Bahn für sie genau richtig fährt, um pünktlich bei der Arbeit zu sein. "Müsste ich nur fünf Minuten früher da sein, müsste ich eine Stunde früher fahren und die Zeit bis zum Arbeitsbeginn vor verschlossener Tür warten." Sie sei froh, nicht mit dem Auto fahren zu müssen. Gerade bei einem Bahn-Streik seien die Straßen überfüllt. Andere Pendler haben es vergleichsweise gut getroffen. Ein 18-jähriger Bau-Ingenieurswesen-Student musste nur eine halbe Stunde früher aufstehen.

Was viele Pendler vom Ausstand halten, zeigt ein anonymer Protest am Bahnhof Gernlinden. (Foto: privat)

Umwege über Pasing

Häufig ist es einfach Glückssache, wenn der stündliche Zug mit den Arbeitszeiten zusammenpasst. Ärgerlich nur, wenn der dann noch Verspätung hat. Stefanie Apelt ist es so ergangen. Die junge Frau aus Gauting musste um kurz nach neun Uhr zu einem Termin in Fürstenfeldbruck. Normalerweise brauche man für die Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln 30 bis 45 Minuten. Am Morgen sind es dann mehr als zwei Stunden. Um 7.25 Uhr hatte sie sich auf den Weg gemacht, in Pasing musste sie nach einer halben Stunde Wartezeit in die S-Bahn nach Olching umsteigen, weil die S 4 ausfiel. Die S 3 hatte einige Minuten Verspätung, die sich in Olching auswirkten: Der Bus nach Bruck war schon weg. Also weitere 20 Minuten warten, "Jetzt bin ich trotzdem zu spät zu meinem Termin", sagt sie frustriert.

Nicht nur in Fürstenfeldbruck behindern Unfälle den Straßenverkehr. (Foto: Günther Reger)

Auch Fahrgäste aus dem Westen, etwa vom Ammersee-Westufer, mussten die Notfahrpläne genau studieren, um nicht allzu viel Zeit auf den Bahnhöfen warten zu müssen. So gab es am Bahnknoten Geltendorf zwei Optionen: Sich die Beine in den Bauch stehen, weil einige S-Bahnen ausfielen, oder mit dem Regionalzug schnell nach Pasing und von dort mit der S-Bahn zurück nach Bruck zu fahren. Die Züge waren deutlich leerer als sonst. Die S 4 verkehrte am Donnerstag regelmäßig einmal in der Stunde. Gelegentlich, etwa am späten Vormittag, gab es sogar einen 20-Minuten-Takt. Die Regionalbahnen aus dem Allgäu von Geltendorf über Pasing zum Hauptbahnhof fuhren nach einem Notfahrplan. Die Lokführer der Ammerseebahn streiken gar nicht, weil die Bayerische Regiobahn nicht zur Bahn AG sondern zum Veolia-Konzern gehört. Für im Warten gestählte Bahn-Pendler aus Geltendorf, dem Westufer des Ammersees oder dem Landsberger Hinterland ist der Streik der Lokomotivführer ohnehin ein Klacks, verglichen mit den Behinderungen, Verzögerungen und Ausfällen wegen des Neubaus einer Brücke hinter Geltendorf während der Herbstferien vorige Woche. Dabei gerieten Fahrpläne immer wieder komplett aus dem Takt, ein durchgeschnittenes Kabel legte die S-Bahn an einem Tag sogar komplett lahm. Fazit: Besser ein solider Streik als die Unwägbarkeiten einer Baustelle.

Früher zur Schule

Obwohl die Mehrzahl der Schüler mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, war an den Schulen im Landkreis vom Streik nur wenig zu merken. Otto Kolbe, der Leiter der Fach- und Berufsoberschule in Fürstenfeldbruck, stellt fest, dass zum Schulbeginn um 8.15 Uhr "nicht mehr Schüler gefehlt haben als sonst". Auch die Parkplätze auf dem Lehrerdeck seien "richtig voll" gewesen, sagte Kolbe, weil die Lehrkräfte vermehrt mit dem Auto gekommen seien. Ähnliche Beobachtungen machen auch Hermann Baumgartner, Direktor des Gymnasiums Gröbenzell, und Robert Christoph, Direktor des Max-Born-Gymnasiums in Germering. Allgemein dauert es am Donnerstag etwas länger, bis die Klassen voll sind, doch dass Schüler gar nicht zum Unterricht kommen, ist kaum der Fall. In den Schulen stehen auch morgens Prüfungen an, fehlen noch Schüler, dann fange eine Schulstunde eben etwas später an, sagt Baumgartner. Insgesamt sei er aber "überrascht" gewesen, dass sich der Streik nicht groß auf den Schulbesuch der Kinder und Jugendlichen ausgewirkt habe. Schwierigkeiten hätten eher einige Lehrer gehabt, die mit dem Auto gefahren und im Stau hängen geblieben seien. Kolbe bestätigt, dass die Kinder und Jugendlichen trotz Bahnstreiks verpflichtet seien, zur Schule zu kommen. Fahre eine S-Bahn nicht zum üblichen Zeitpunkt, dann müssten Schüler sich eben einen Zug früher auf den Weg machen, so Kolbe.

Büro daheim

Wenn das Personal wegen ausgefallener Züge Probleme habe, versuche die Firma flexibel zu reagieren, erläutert Michael Steinbauer von der Doka Schalungstechnik in Maisach . Ein Drittel der 150 Mitarbeiter seien Pendler. So etwa ein Mitarbeiter aus Murnau oder Beschäftigte aus dem Augsburger Raum, die auf Regional- und S-Bahn angewiesen seien. In einem Fall habe man Home-Office ermöglicht. Steinbauer, der auch Vorsitzender des Gremiums Fürstenfeldbruck-Dachau der Industrie- und Handelskammer ist, riet Firmen, mehr Heimarbeitsplätze zu fördern und einzurichten, weil diese nicht nur in Streikzeiten sinnvoll seien, sondern auch bei witterungsbedingten Verkehrsbehinderungen. Sein Betrieb sei möglicherweise auch vom Streik im Güterverkehr betroffen. So könnte der Ausfall von Güterzügen Auswirkungen in seinem Unternehmen haben, weil die im österreichischen Amstetten sitzende Produktion einen Gleisanschluss habe und die Schalungen mit der Bahn transportiert würden. Über die Folgen vermochte Steinbauer am Donnerstag noch nichts zu sagen.

Zwei Unfälle am Morgen

Auf dem Autobahnen und Bundesstraßen ging zeitweise gar nichts mehr voran. So musste die Bundesstraße 2 bei Germering am Morgen nach einem Frontalzusammenstoß zweier Fahrzeuge total gesperrt werden. Eine Autofahrerin wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. In Bruck übersah ein 82 Jahre alter Rentner beim Abbiegen das Fahrzeug einer vorfahrtberechtigten Frau. Nach der Kollision beider Autos auf der Münchner Straße war der Verkehr in der Innenstadt lahmgelegt.

© SZ vom 07.11.2014 / berj, bip, holt, ano, ecs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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