Starker Zuzug:Der Flächenverbrauch geht weiter

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Bis zum Jahr 2036 soll die Bevölkerung des Landkreises um etwa 26000 Menschen wachsen. Die Wirtschaft hofft auf Fachkräfte, der Bund Naturschutz und der Landrat fürchten um Landschaft und Umwelt

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Bevölkerung im Landkreis Fürstenfeldbruck wird bis 2036 um etwa 26 000 Menschen zunehmen, besagt die jüngste Prognose des Statistischen Landesamtes. Die Industrie- und Handelskammer hofft, dass dadurch der Fachkräftemangel beseitigt wird, fürchtet aber steigende Immobilienpreise. Dagegen warnen der Bund Naturschutz (BN) und Landrat Thomas Karmasin (CSU), dass der Landkreis zugebaut wird. Den Daten des Statistikamtes zufolge lebten 2016 rund 217 000 Menschen im Landkreis. Diese Zahl soll in den kommenden Jahren kontinuierlich auf etwa 242 500 im Jahr 2036 steigen. Trotz des Wachstums wird der Anteil der älteren Menschen deutlich steigen, weil die Babyboomer in die Jahre kommen. Ein knappes Drittel der Bevölkerung, fast 75 000 Bürger, werden der Kategorie 60 plus angehören. Die neueren Zahlen bestätigen ältere Prognosen über die Entwicklung.

"Das ist ein prinzipiell positiver Trend, denn das sind potenzielle Fachkräfte, die kommen werden", sagte Michael Steinbauer, Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses. Im Landkreis könnten neue Betriebe und Wirtschaftszweige entstehen und dadurch Auspendler gehalten werden. Eugenie Scherb hält das für illusorisch. Die BN-Kreisvorsitzende verweist auf den Münchner OB Dieter Reiter (SPD), der in der Stadt weitere 300 000 Arbeitsplätze schaffen wolle, während das Umland dafür den Wohnraum bereit stellen soll. "Der Landkreis soll lebens- und liebenswert bleiben, deshalb wäre es gut, den Zuzug zu bremsen", sagt Karmasin. Scherb fürchtet den weiteren Flächenfraß. "In Zeiten des Internet braucht doch nicht jeder in München sitzen, man muss die vorhandene Infrastruktur anderswo nutzen", sagt die BN-Kreisvorsitzende. Die Infrastruktur reicht in Fürstenfeldbruck für die Zuzügler ohnehin nicht aus. Landkreis und Kommunen werden neue Schulen, Kindertagesstätten oder Straßen bauen müssen, was durch höhere Steuereinnahmen nicht gedeckt werde, warnt der Landrat.

Scherb kritisiert die fehlende politische Steuerung. Es sei verantwortungslos, Bayern in einen überlaufenden Ballungsraum und verödete Peripherien auseinanderfallen zu lassen. Die Staatsregierung müsse alles tun, um zu verhindern, dass alle in den Großraum München wollen. Karmasin verweist auf den Landesentwicklungsplan und den Anspruch, vergleichbare Lebensverhältnisse in allen Teilen Bayerns herzustellen. Bloß seien die politischen Instrumente dafür "nicht scharf".

Er sieht eine Steuerungsmöglichkeit im Wohnungsbau, der nicht einfach ziellos angekurbelt werden dürfe. "Wir brauchen Wohnungen für Einheimische mit kleinem und mittlerem Einkommen sowie für bestimmte Gruppen, wie etwa Pflegepersonal, statt pauschal Wohnungen auf den Markt zu werfen." Das Umland müsse aber keine Wohnungen für Fachkräfte bereit stellen, die aus Hamburg nach München ziehen, um dort zu arbeiten.

Man sollte Neubauten an Arbeitsplätze vor Ort koppeln und vorzugsweise schon versiegelte Flächen nutzen, wie etwa den Fliegerhorst, fordert Karmasin. Scherb wirbt für eine andere urbane Architektur. "Wir brauchen keinen Siedlungsbrei aus Reihen- und Doppelhäusern, in dem alle aufeinander hocken, so dass man Beklemmungen kriegt, sondern kompakte, mehrstöckige Gebäude, ökologisch nachhaltig und zugleich individuell und abwechslungsreich." Seit Jahren bringe sie diese Vorstellung in die Leitbilddiskussionen des Landkreises ein, aber ohne Wirkung. "Es braucht klare Vorgaben bei der Bauleitplanung", fordert die Naturschützerin. Einig sind sich Scherb und Karmasin, dass das Neubauviertel in Freiham ein abschreckendes Beispiel für Städtebau darstellt.

Auch bei der IHK ist man sich der Problematik des Flächenverbrauchs bewusst, weil die Preise für Gewerbeflächen steigen oder Arbeitskräfte keine erschwinglichen Wohnungen finden. Steinbauer hofft, wie Karmasin, auf das Fliegerhorstareal. Darüberhinaus fordert der IHK-Vorsitzende eine landkreisübergreifende Kooperation bei der Ausweisung von Gewerbegebieten. Der Landrat verweist auf die Planungshoheit der Kommunen, deren Kooperation sei möglich und notwendig.

"Es werden Gewerbeflächen ausgewiesen, als gäbe es kein Morgen", rügt Scherb. Als aktuellen Fall verweist sie auf eine Fläche "mitten in der Landschaft" in Mittelstetten. "Die Gesellschaft muss mit den Schäden dieser Entwicklung noch leben, wenn die Kommunalpolitiker schon längst nicht mehr im Amt sind", warnt Scherb.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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