Nahverkehr:Das Bussystem ist eine Katastrophe

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Ein Leserbrief zu öffentlichen Verkehrsmitteln in Germering

"34 000 Fahrgäste am Tag" (14. November)

Als eine der "34000 Fahrgäste am Tag" möchte ich die "Positivbilanz für den Personennahverkehr" noch um eine Realitätsbilanz beziehungsweise notwendige Negativbilanz ergänzen, stellvertretend für die Germeringer BürgerInnen, die auf Bus und S-Bahn angewiesen sind. Dies sind vor allem: RenterInnen, die sich kein Auto leisten können, Familienmütter mit Kindern/Kinderwagen, die neben dem Gatten-Auto über kein Zweitauto verfügen, Jugendliche und Behinderte. Randgruppen, auf die es nicht ankommt?

NichtautofahrerInnen in Germering haben es schwer. Abends und am Wochenende kein Bus. Große Kreisstadt 40 000 EinwohnerInnen. Die Busse 851 und 857 zum/vom S-Bahnhof Harthaus sind oft so verspätet, dass die Fahrgäste die S-Bahn nur noch mit Hängen und Würgen erreichen (über die kontraproduktiven verschlungenen Langwege von Haltestelle bis Bahnsteig im schweinsgaloppierenden Hürdenlauf) vorausgesetzt, man ist gut zu Fuß, hat keine Kleinkinder und keinen Kinderwagen und ist nicht behindert.

Weil man nie weiß, ob man die S-Bahn erwischt, nehme ich (schon immer autofrei) grundsätzlich einen früheren Bus, starte also 20 Minuten früher als nötig. Bei drei, vier beruflichen Fahrten in der Woche macht das mindestens eine Stunde pro Woche, also rund 70 Stunden pro Jahr. Das heißt, ich verbringe zwei unbezahlte Arbeitswochen an Bushaltestellen, weil der Busfahrplan eine Katastrophe ist. Teurer Zeitverlust für Selbstständige.

Es kommt auch vor, dass die Busse ein, zwei Minuten früher abfahren als der Fahrplan vorgibt. Wer pünktlich kommt, hat Pech. Hat die S-Bahn Verspätung, was auch oft vorkommt, sind die Busse fast immer weg. Das "Anrufsammeltaxi" wird nicht wenig genützt, weil kein Bedarf da wäre, sondern: Anrufsammeltaxi (abends, WE) kommt nur für Menschen infrage, die ihre Rückfahrt genau terminieren können; dies ist (zum Beispiel bei beruflichen Terminen) oft nicht der Fall. Wenn man aber eines bestellt und die S-Bahn fällt aus oder kommt verspätet, hat man auch Pech. Welche Frau möchte sich dem nachts aussetzen?

Ständige Verspätungen gaben mir Gelegenheit zu Gesprächen mit zahlreichen Betroffenen; leider kamen fast alle zu dem Schluss: "Sich beschweren bringt nix."

Ich meine, es muss was bringen. Zumindest die Busse 851 und 857 sind so, wie sie sind, eine Öffentliche-Nahverkehrs-Katastrophe und grenzen gerade die aus, die für ihre Mobilität zwingend auf "Öffentliche" angewiesen sind. Das städtische Argument "mehr Busse = zu teuer" heißt in Wahrheit: Arme, Alte, Jugendliche, Behinderte und Mütter sind der Stadt offenbar wurscht. Inklusion?! Am meisten unter der Bahnhofsarchitektur und der städtischen Bus-Misere zu leiden haben Behinderte.

Bettina Kenter, Germering

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© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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