Modellbauladen schließt:Endstation

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Erich Fröschl sperrt seinen Modellbauladen in Fürstenfeldbruck zu. Das Geschäft ging kontinuierlich bergab. Doch es gab immer noch Stammkunden, die Jahr für Jahr viele tausend Euro in ein Hobby für erwachsene Kinder steckten.

Stefan Salger

"Total-Räumungsverkauf" steht auf dem orangefarbenen Banner, das im kleinen Schaufenster prangt. Ende April ist Schluss. Dann macht Erich Fröschl dicht. Dann wird es heißen: Wieder ein kleiner Laden weniger, der dem Konkurrenzdruck nicht gewachsen war. Aber hier ist die Sache komplizierter.

Den Verkauf von Modelleisenbahnen gibt Erich Fröschl bald auf.  (Foto: Johannes Simon)

Der 67-Jährige steht vor Hunderten aufgestapelter Kartons hinter dem Tresen. Für Vorführzwecke sind darauf zwei Schienenstücke montiert. Spur H0 und N. Auf einer Vitrine steht ein Dreimaster. Ein Walfänger, in den Fröschl drei Jahre Feiertagsarbeit gesteckt hat. Daneben die Endeavour von 1768. Links im Regal bunte italienische Modellautos. Das ist seine Welt. Fröschls Welt. Aber die Welt hat ihn aufs Abstellgleis geschoben.

Der Ladenbesitzer in Abwicklung nimmt sich Zeit, den Besucher mit in diese Welt von Märklin und Fleischmann zu nehmen. Alles ist so klein. Aber die Sorgen sind real. Fröschl wird seine Modellsachen mit heim nehmen ins Haus nach Schöngeising - wird über ein paar Fachmessen tingeln und die Restbestände verkaufen. Erich Fröschl ist kein sentimentaler Typ. Ihm schießt sogar mal die Zornesröte ins Gesicht, wenn er vom Leben jenseits der Modelleisenbahnen spricht. Dort gibt es fast nur Fußball. 30 Jahre lang gehörte er dem SC Fürstenfeldbruck an, war Masseur der ersten Mannschaft. Bis er wiederholt und fast handgreiflich mit Manfred Amerell aneinander geriet, dem schillernden späteren DFB-Schiedsrichterfunktionär. Wiederholt habe der die SCF-Jungs verpfiffen. Fröschl regte sich auf und verließ genervt den SCF.

Wenn Erich Fröschl über seine zweite große Leidenschaft, die Modelleisenbahn, redet, bekommt er doch noch feuchte Augen. Er erzählt von seiner Kindheit. Und von dem Traum auf Gleisen. Märklin. Was für ein Name. Ein Traum, der lange nicht in Erfüllung geht. Als Erich Fröschl seine Lehre bei den Brucker Stadtwerken absolviert, kratzt er an einem Samstag sein erstes Lehrgeld zusammen und kauft ein Stück Schiene und einen Mannesmann-Röhrenwaggon. Am Montag gehen seine Eltern mit den Sachen in den Laden und tauschen sie wieder um gegen Bargeld. Zur Gesellenprüfung bekommt er dann 500 Mark. Und damit steigt er dann doch noch ein. Die heimische Anlage wächst Stück um Stück.

Fröschl wechselt zu Siemens nach München. In den neunziger Jahren gibt es bei dem Konzern nicht mehr viel zu tun. Fröschl nutzt die Gelegenheit und arbeitet ohne Bezahlung bei Spielwaren Reindl mit. Modellbauabteilung. Vor 24 Jahren lässt er sich von Siemens abfinden und kauft Reindl für viel Geld die ganze Abteilung ab. Viele Bundeswehrsoldaten aus dem nahen Fliegerhorst gehören damals zu den Stammkunden. Es läuft gut. Alle paar Wochen fährt Fröschl nach Italien, um sich dort mit Modellautos einzudecken. Alles wird größer, nach dem Umzug an die Dachauer Straße wächst die Verkaufsfläche auf 300 Quadratmeter. Fröschl kann und will es sich - bis heute - leisten, ehrlich zu sein. Wenn jemand eine Dampflok für 450 Euro und ein paar Schienen für ein kleines Kind kaufen will, schüttelt er den Kopf. "Einen Haufen Geld" ausgeben, obwohl unter Zehnjährige damit doch klar überfordert werden? "Überlegen Sie sich das lieber nochmal!" Das gilt auch für den Bausatz des historischen Segelschulschiffs Amerigo Vespucci. Filigranarbeit für lange Abende. 387 Euro teuer. Nicht wirklich für Kinder geeignet. Schon passiert, dass sich die Leute überzeugen ließen. Deswegen liegt der Karton mit der Vespucci heute noch hinten im Laden.

Irgendwann verpasst Fröschl den Anschluss. Die Welt überholt ihn einfach. Eine Welt, in der Computer, Internet und Handy immer wichtiger werden. Fröschl braucht das nicht. Im Laden steht eine alte elektrische Registrierkasse. Und so wird er Stück für Stück abgekoppelt.

Immer häufiger stehen Leute bei ihm im Laden, die sich alles haarklein erklären lassen - "und dann rausgehen, ohne auch nur auf Wiedersehen zu sagen". Die bestellen dann im Internet. Fröschl sortiert die Modellflugzeuge aus und zieht 2009 in den kleinen Laden an der Schöngeisinger Straße. Vor 20 Jahren hat es im Umkreis von 75 Kilometern noch 70 Modellbaugeschäfte gegeben. Jetzt nur noch zehn. Vor 24 Jahren hat er in der Vorweihnachtszeit 150 Modellbahn-Starterpakete verkauft. Letzten Dezember ein Starterpaket. Ist das also der Grund für die Geschäftsaufgabe? Nicht allein, sagt Fröschl. Seine Frau ist sehr schwer erkrankt. Er muss sich um sie kümmern. Und weder die 33 Jahre alte Tochter noch der 30 Jahre alte Sohn sind vom Modellbahnvirus befallen. Vielleicht hat er beide zu lange zu kurz gehalten mit den Loks und Waggons - nichts für kleine Kinder! Hinzu kommen Probleme mit den Herstellern. Die verlangen Mindestumsätze, knebeln kleine Läden. Letztens wurde nicht einmal das neueste Modell der historischen Rheingoldlok geliefert. Obwohl so etwas überlebensnotwendig ist.

Vier besonders umsatzstarke Stammgäste waren vergangenes Jahr noch übrig. Sie allein brachten 60 000 Euro Jahresumsatz. Solche Liebhaber feilschen nicht, sie bestellen "blind" alle Neuheiten im Voraus. Einer kam 20 Jahre lang regelmäßig aus Zürich, um seine 30-Quadratmeter-Anlage zu ergänzen. Solche Kunden nahm Fröschl zur Belohnung schon mal im Februar zur Spielwarenmesse nach Nürnberg mit - offiziell wurden die dann zu Mitarbeitern. Aber die Stammkunden sterben weg. Das Durchschnittsalter von Fröschls Kunden liegt um die 50. Viel zu oft stand Fröschl schon am Grab langjähriger Kunden - verbunden über den Tod hinaus. Einem Arzt ließ er die nicht mehr rechtzeitig gelieferte Lok in den Sarg legen.

Nun also geht die Reise Richtung Ruhestand. Beruflich ist Endstation. Auf ein Ziel arbeitet Fröschl aber noch hin: Irgendwann sollen auf der eigenen Anlage, zwölf oder 14 Züge gleichzeitig fahren. Das Wachsen, Entstehen, Aufbauen ist ohnehin das Schönste für einen wie ihn. Im Privaten gibt es also doch noch einen Anschluss.

© SZ vom 21.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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