Mitten in Puchheim:Der Flügelschlag des Schmetterlings

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Die VHS erinnert Donald Trump an die Werte der US-Verfassung. Wer glaubt, das bringe nichts, sei an die Chaostheorie erinnert

Von Stefan Salger

Edward N. Lorenz stellte vor 44 Jahren die Frage: "Does the flap of a butterfly's wings in Brazil set off a tornado in Texas?" Schon war es in der Welt, das mit der Chaostheorie verbandelte Konzept des Schmetterlingseffekts. Das greift nun eine renommierte Bildungseinrichtung aus dem Landkreis auf. Lorenz war Meteorologe und forschte in den USA. In Zeiten der Globalisierung wurde die Theorie um die ökonomischen und politischen Schmetterlingseffekte erweitert. Im Kern geht es darum, dass ein winziges Ereignis vor der eigenen Haustür eine gewaltige Reaktion Tausende Kilometer entfernt auslösen kann. Oder: Alles hängt mit allem zusammen. Wir wären schlecht beraten, den Sack Reis, der in China umfällt, zu ignorieren.

In besagter Bildungseinrichtung könnten sich Kinder nun im Sprach-Feriencampus ans Übersetzen der Lorenz-Phrase machen, Betriebswirte könnten die Sache im Lehrgang "Projektmanagement, mit Basiszertifikat der Gesellschaft für Projektmanagement" ansprechen. Oder Hobbyköche könnten im Kurs "Vegetarische Eintöpfe und Suppen zum Sattwerden" mit der Schöpfkelle nach nicht-linearen Wirkungsketten fischen.

Am 10. November 2016 jedenfalls flattert eine Presseinformation - mit der Bitte um Veröffentlichung - in die SZ-Redaktion. Darin wird der Bogen geschlagen von der Gründung des bayerischen Volkshochschulverbandes 1946 (während der US-amerikanischen Besatzungszeit!) bis zur Gründung des Mehrgenerationenhauses Zap in Puchheim. Die historischen Hinweise werden verknüpft mit einem flammenden Appell für "Entwicklung und Integration aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität" - wie er sich ausschnittsweise auch in der Verfassung der Vereinigten Staaten findet. Die diplomatische Note, in der dezidiert Stellung bezogen wird zur "Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten", haben weder UN-Generalsekretär António Guterres noch EU-Ratspräsident Donald Tusk unterzeichnet. Sie stammt aus der Feder von Claudia Frodien, Geschäftsführerin der Puchheimer Volkshochschule.

Wer nun meint, man könne den Puchheimer Flügelschlag als winziges Ereignis abtun, der möge sich an Edward N. Lorenz erinnern. Vielleicht wird damit - jenseits aller Theorie - über ein paar Wirkungsketten ein ganz realer Tornado entfacht, der Donald Trump wegbläst und all dem Chaos am anderen Ufer des Atlantiks ein Ende setzt. Vielleicht aber auch ganz gut, dass die Volkshochschule Puchheim keinen Kurs in Wahrscheinlichkeitsrechnung anbietet.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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