Mitten in Olching:Dichten und ermitteln

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Ein nachweihnachtlich gestimmter Polizeibericht

Von Christian Hufnagel

Vieles kommt übers Jahr zu kurz. Die Sprache an vorderster Stelle. Großes Augenmerk legt der Mensch nicht mehr, wenn er dies oder das im Alltag mitteilen will. Schon gar nicht in der schriftlichen Form. Nur über Weihnachten, da sucht er nach schönen Worten, weil dieses Datum wie kein anderes Gefühle weckt und sich Grußbotschaften aus seinem Herzen drängen. Und Gefühle wollen seit jeher wortreich gestaltet werden. Ein anrührendes Beispiel für diesen Übergang von schludriger Alltags- zu schmeichelnder Festtagssprache hat nun die Polizeiinspektion in Olching verfasst.

Deren Beamte müssen ja nicht nur Verkehrssünder aufschreiben, Unfälle bearbeiten und Einbrecher suchen. Sie müssen auch täglich die großen Vergehen und kleinen Verbrechen in prosaischer Kurzform festhalten und an die Presseorgane versenden. Das geschieht für gewöhnlich in einem angemessen sachlichen Stil. Am Tag vor Heiligabend etwa lauteten die Überschriften streng nachrichtlich: Linde angezündet; Verkehrsunfall mit Linksabbieger; Ladendiebstahl von Spielkonsolen. Am ersten Weihnachtsfeiertag aber stand der Autor spürbar noch unter dem emotional rauschhaften Erlebnis der Bescherung und deren obligatorischer musikalischer Gemütsbegleitung. Die berühmtesten Weihnachtslieder wählte der Polizeioberkommissar zur Überschrift, phantasievoll und sinnfällig zugleich für folgenden Vorfälle: "Alle Jahre wieder . . ." muss die Olchinger Polizei am Weihnachtsfeiertag in einer Diskothek eine Rauferei schlichten. "Stille Nacht, heilige Nacht . . ." durchbrach an Heiligabend in einem Mehrfamilienhauses brutal der Lärm eines Betonschneiders. "O Tannenbaum, O Tannenbaum . . ." lautete schließlich die traurige Ode über den von einem unbekannten Crinch rabiat gestutzten Christbaum vor dem Rathaus in Eichenau. Derart friedlich angestimmt, lesen sich die täglichen Verhaltensauswüchse der Menschen doch gleich leichter. Weil es nun aber viele lange Tage wieder prosaischer im Land und der Schreibstube der Olchinger Polizei zugehen wird, mag die überlange Wartezeit die tröstlichste aller weihnachtlichen Liedzeilen verkürzen: "Freue Dich, Christkind kommt bald."

© SZ vom 27.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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