Landgericht:Zwischen Schwachsinn und Schuld

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Am zweiten Prozesstag geht es um die Zurechnungsfähigkeit eines 28-jährigen Sexualstraftäters aus Fürstenfeldbruck

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Stück für Stück entwickelten Sachverständige, Ärzte und ein Therapeut am Donnerstag das Persönlichkeitsprofil des 28-Jährigen, der sich wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in zwei Fällen vor dem Landgericht verantworten muss. Nachdem der Fürstenfeldbrucker die Taten bereits am ersten Verhandlungstag gestanden hatte, ging es nun darum, seine Schuldfähigkeit zu bestimmen. "Es ist ein Grenzfall, über den wir hier zu bestimmen haben", fasste es der Verteidiger zusammen. Denn rechtlich bewegt sich der Angeklagte auf einem schmalen Grat zwischen Schwachsinn und Zurechnungsfähigkeit.

Mitte 2015 hatte der Angeklagte zuerst ein Mädchen auf dem Volksfestplatz angesprochen und gefragt, ob er ihren Schambereich sehen dürfe, sechs Wochen später hat er dann ein zweites Mädchen angehalten und ihr in die Unterhose gelangt. Als Auslöser nannte er Stress in der Arbeit.

Im Zentrum der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit stand die Aussage der Sachverständigen, die das psychologische Profil des Angeklagten entwickelt hat. Als "desolat" beschrieb sie die Familienverhältnisse, beide Eltern des Angeklagten seien wohl Alkoholiker gewesen und es sei davon auszugehen, dass die Mutter auch während der Schwangerschaft getrunken habe. Es sei zwar nicht beweisbar, aber doch wahrscheinlich, dass die verminderte Intelligenz des Angeklagten durch dieses Verhalten ausgelöst wurde. Dazu käme, dass sich wohl die Nabelschnur bei der Geburt um den Hals gelegt habe. Der Angeklagte sei nicht in der Lage, seine Affekte adäquat zu beherrschen, er leide an einer kognitiven Störung, einer Verlangsamung des Denkens, er könne keine Problemlösungsstrategien entwickeln. Durch all diese Probleme könne er seinen Alltag nur schwer selbständig bewältigen. Ihm fehle auch das Vermögen, sich vorstellen zu können, dass wenn er etwas tue, etwas in seinem Gegenüber ausgelöst werde.

Eine zentrale Frage war natürlich auch, ob der Angeklagte nun pädophil ist oder nicht. Dazu äußerte sich auch der Psychologe, der den Angeklagten in der Psychiatrie, in der er seit kurz nach der Festnahme sitzt, betreut. Er erklärte, dass eine Diagnose "Pädophile" voraussetze, dass der Wunsch nach Geschlechtsverkehr mit Kindern der Schwerpunkt der Sexualität sei. Das sei beim Angeklagten schwer zu beurteil, weil er immer wieder betone, dass er auch großes Interesse an gleichaltrigen Frauen habe. Nicht von der Hand zu weisen seien dagegen pädophile Nebenströme in der Sexualität des Mannes. Ähnlich äußerte sich auch die Sachverständige. Nach dem in Deutschland eingesetzten Klassifizierungssystem ICD-10 sei der Angeklagte nicht pädophil, auch wenn es entsprechende Neigungen gebe. Anders sei das, wenn man das in den USA gängige System DSM-5 anwende.

Schwierigkeiten hatte die Sachverständige damit, eine Rückfallwahrscheinlichkeit zu benennen. Dafür gebe es einfach zu wenige Studien, die Personen wie den Angeklagten untersuchen. Dennoch erklärte sie, dass sie aufgrund des Verhaltens eine erhöhte Gefahr sehe, wenn der Angeklagte nicht in ein geschütztes Umfeld komme.

Nach Meinung der Sachverständigen ist bei dem Angeklagten eine verminderte Schuldigfähigkeit vorhanden. Gleichzeitig sprach sie sich dafür aus, dass der 28-Jährige in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werde. An diesem Freitag wird das Gericht nun sein Urteil verkünden.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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