Kommentar:Verantwortung abgewälzt

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Die S-Bahn lässt Haltestellen aus, um Verspätungszeit aufzuholen. Schuld daran sind angeblich die Kunden

Von Julia Bergmann

Das Schimpfen über die Unpünktlichkeit der Bahn ist so etwas wie der Klassiker unter den Zeitvertreiben wartender Reisender geworden. Ein Klischee, das zwar ausgelutscht ist, aber dennoch im bestimmten Kontexten zum guten Ton gehört. Doch ob originell oder nicht, die Bahn hat nun reagiert. Schade nur, dass diese Reaktion das Potenzial dazu hat, zu einem noch größeren Aufreger zu werden. Um Verspätungen auszugleichen, werden nun Bahnhöfe mit geringem Verkehrsaufkommen ausgelassen. Die S-Bahnen fahren ohne Halt durch, rauschen an den Wartenden vorbei, die im Landkreis mindestens 20 weitere Minuten am Gleis stehen werden. Diejenigen, die am ausgelassenen Halt aussteigen wollten - nun ja, die haben Pech gehabt. Eine Farce. Auch wenn die Argumentation der Bahn, man wolle das Mitschleppen von Verspätungen vermeiden, zunächst plausibel klingt, gibt es dennoch eine Sache, die zumindest hellhörig machen sollte.

So ärgerlich Verspätungen auch sind, so dürfte den meisten Fahrgästen bewusst sein, dass viele der Ursachen dafür außerhalb des Einflusses der Bahn liegen. Etwa, wenn Personen oder Gegenstände auf den Gleisen sind. Die Bahn kann dafür in aller Regel nichts. Haltestellen auszulassen ist im Gegensatz dazu eine ganz bewusste Entscheidung. Sie geschieht absichtsvoll und das macht den Unterschied. Und während die Bahn zuvor versuchen musste, mit den Widrigkeiten umzugehen, die den Fahrgästen bei der - wohlgemerkt - teuer bezahlten Nutzung ihres Services entstanden ist, schiebt sie die Verantwortung nun in Richtung des Kunden. Es ist die angenehmste Lösung für das Unternehmen, nicht aber für denjenigen, der nicht an seiner Haltestelle aussteigen kann und dann nicht weiß, wie er zurückkommen soll. Der Fahrgast bleibt im Wortsinn auf der Strecke. Und mit ihm der Vertrauen in den ÖPNV und die Bereitschaft, diese zu nutzen. Ärgerlich dürfte das auch für den Freistaat Bayern sein, der die Leistung der Bahn immerhin bestellt hat. Auch vor diesem Hintergrund ist die Forderung der Bürgermeister der S-3-Anliegerkommunen, im Falle solcher Durchfahrten satte Strafzahlungen von der Bahn zu fordern, die einzig richtige.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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